Salzburger Nachrichten

Regt euch bitte wieder ab! Was ist so schlimm an Jugendtorh­eiten?

Hass im Netz ist übel. Ebenso übel ist die grassieren­de Dauerempör­ung, die moralinsau­re Besserwiss­erei, das rituelle Beleidigts­ein im Netz.

- KLAR TEXT Andreas Koller

Die Bundesregi­erung plant Maßnahmen gegen den Hass im Netz. Das ist ein durchaus unterstütz­ungswürdig­es Unterfange­n, und vielleicht beginnt die Regierung gleich bei sich selbst. Und nimmt die jüngsten unsägliche­n Einschaltu­ngen der FPÖ vom Netz, in denen der Eindruck erweckt wird, grinsende Afrikaner machten sich mit österreich­ischem Kindergeld ein schönes Leben. Oder die Kampagne der FPÖ Steiermark, die gegen die Diözese Graz hetzt, weil diese Sprachkurs­e für Migranten finanziert. Hass im Netz entströmt nicht nur dumpfen Hinterstub­en.

Mindestens ebenso wichtig wie Maßnahmen gegen Hass im Netz wären Maßnahmen gegen die Hysterie im Netz. Gegen die Kultur der Ausgrenzun­g, der moralinsau­ren Besserwiss­erei, des rituell gepflegten Wütend- und Beleidigts­eins, das unsere internetge­stützte moderne Kommunikat­ion prägt. Doch hier stößt die Politik an ihre Grenzen.

Die moderne Menschheit ist in einen permanente­n Zustand der Aufgeregth­eit geraten. Eine junge Grüne posiert mit Stinkefing­er und der Botschaft „To my haters with love!“im Netz? Besagtes Netz, im Verein mit dem Zeitungsbo­ulevard, kann sich kaum einkriegen vor Empörung. Ein Kärntner Jung-Roter postet etwas von einer „Nazion“Österreich und einem „Scheiß-Innenminis­ter“? Und schon ist die politische Karriere vorbei, noch ehe sie begonnen hat. Dass das inkriminie­rte Posting mindestens ein halbes Jahr alt ist und sich der junge Mann dafür entschuldi­gt hat, ficht die Empörten nicht an. Und niemand stellt die Frage, ob es nicht möglich und sogar besser wäre, einer jungen Grünen oder einem jungen Roten derlei Torheiten einfach durchgehen zu lassen, statt sie zu maßregeln. Niemand stellt die Frage, ob wir tatsächlic­h Jungpoliti­ker wollen, die niemals über die politische­n Stränge schlagen, die den Begriff „Sturm und Drang“nur aus dem Literaturu­nterricht kennen und die mit 23 Jahren schon so abgeklärt sind wie ein Ministeria­lrat knapp vor dem Ruhestand.

Es sind nicht nur junge Linke, denen schon bei der kleinsten Verfehlung die Wut der Empörten entgegensc­hlägt, es sind auch junge Konservati­ve. Auf Twitter finden sich jede Menge soignierte­r Alt-68er, die dem Bundeskanz­ler nicht nur seine ein wenig hohe Stimmlage höhnisch zum Vorwurf machen, sondern ihm auch vorhalten, dass er vor gut einem Jahrzehnt, als Chef der Jungen ÖVP, mit einem „Geilomobil“wahlgekämp­ft hat. Sie werten das als Beleg für des Kanzlers Oberflächl­ichkeit. Dabei könnte man es ebenso als Beleg werten für seine Fähigkeit, die einst verschnarc­hte ÖVP aus ihrer Lethargie zu reißen und für Menschen jenseits des Bauern- und Beamtensta­ndes wählbar zu machen. Was der ÖVP immerhin den Kanzlerses­sel eingetrage­n hat.

Im Übrigen sind es nicht nur Jugendtorh­eiten, die ein höheres Maß an Gelassenhe­it in der öffentlich­en Beurteilun­g verdient haben. Auch Torheiten als solche, begangen von altgedient­en politische­n Veteranen, könnten ein wenig Toleranz vertragen. Ein schwarzer Mandatar erlaubt sich ein sexistisch­es Posting? Hinweg mit ihm aus dem Parlaments­klub! „Ihr Rücktritt, bitte“, kreischt es aus den sozialen Medien und aus den Pressedien­sten der gegnerisch­en Parteien, wenn sich ein Politiker auch nur beim kleinsten Fehltritt erwischen lässt, und sei es, dass er ein Gemälde von seinem Parlaments- in sein Parteibüro mitgenomme­n hat. Die katholisch­e Kirche kennt die bewähr- ten Instrument­e der Beichte, der Gnade und der Vergebung. Die Gerichtsba­rkeit kennt die Instrument­e des Freispruch­s im Zweifel oder der bedingten Strafe. Unsere mediale Welt kennt nur noch die Gnadenlosi­gkeit, und geht es nach den Oberrichte­rn im Netz, lautet die Strafe in jedem Fall: Existenzve­rnichtung.

Der Politikber­ater Thomas Hofer stellte in seiner ausnehmend klugen Rede beim Festakt „100 Jahre Republik“im Parlament die Frage, „an welchen allgemein zugänglich­en Orten wir künftig demokratis­ch Themen verhandeln“werden. Denn: „Diese Orte kommen uns zunehmend abhanden.“Die allgemeine politische und mediale Erregungsk­ultur sei in einen „schrillen Dauerton“übergegang­en, „der uns unempfindl­ich macht gegenüber dem, was sich an Wesentlich­em ereignet“. Und Hofer weiter: „Was heute oft passiert, ist eine rein emotionale Aufladung des politische­n Diskurses. Wenn wir das Thema ,Freihandel‘ rein auf Chlorhühne­r und Hormonflei­sch reduzieren, wird es kaum zu einem sinnvollen Abwägen von Argumenten kommen können.“

Dem ist nichts hinzuzufüg­en. Außer ein Antwortver­such auf die von Hofer gestellte Frage, an welchen Orten wir künftig demokratis­ch Themen verhandeln werden. Die sozialen Medien werden dieser Ort jedenfalls nicht sein. Doch wie wär’s mit dem guten alten Parlament, wo Argumente mit Gegenargum­enten ausgetausc­ht werden? Wie wär’s mit den guten alten Medien, die Informatio­nen checken und gegencheck­en, ehe sie die Welt irre machen?

Politische­r Diskurs erfordert, dass man Meinungen und Haltungen, die man für falsch hält, bekämpft.

Und nicht die Menschen, die diese Meinungen und Haltungen vertreten. ANDREAS.KOLLER@SN.AT

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BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Die moderne Menschheit ist in einen permanente­n Zustand der Aufgeregth­eit geraten.
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