Der Blick ins Gold entzückt
Zum ersten Mal in der Geschichte kann sich ein Mensch in einem goldenen Spiegel sehen. Was bedeutet so ein Selbstporträt in Gold?
Im Goldgrund, einst göttlichen und heiligen Wesen vorbehalten, kann sich jetzt jeder ansehen. Damit hat die Selbstbetrachtung, wie ihr etwa mittels Selfies gefrönt wird, ihre höchste vorstellbare Kulmination erreicht. Diese gottnahe Vollkommenheit des Ich-Bilds hat der deutsche Künstler Hubertus Hamm ermöglicht: Er hat einen goldenen Spiegel hergestellt.
Wer sich davorstellt und hineinblickt, sieht sein Abbild in reinem Gold. Dafür hat Hubertus Hamm 18 Kilogramm des Edelmetalls – er nennt dafür einen Marktpreis von rund 700.000 Euro – verarbeitet: Zuerst wurde ein Barren zwei Wochen lang etwa 2000 Mal kalt gewalzt, dann wurde die daraus gewonnene rechteckige Goldplatte ebenso lang poliert und auf einen 2,30 Meter hohen Quader montiert, der wie eine Holzkiste anmutet.
Wer beim Betrachten über Bedeutung von Gold, Spiegel und Porträt sinniert, kommt aus dem Entzücken nicht heraus. Vor allem: Dies ist der erste goldene Spiegel in der Menschheitsgeschichte.
Als er den Goldspiegel erstmals gesehen habe, sei er von dessen Banalität überwältigt worden, gesteht der Kunsthistoriker Thomas Zaunschirm. Das Besondere erschließe sich nur im Sinne von Johann Wolfgang von Goethes Diktum: „Man sieht nur, was man weiß“, also nur durch wenigstens bruchstückhaftes Wissen über Bedeutungen des Goldes vom alten Ägypten bis heute, über das Spiegelbild seit Narziss’ Erscheinen in Ovids „Metamorphosen“, über Schatten und die poetische Bedeutung seines Verlustes sowie über Porträt und Fotografie.
Thomas Zaunschirm hat sich 2012 für die von ihm kuratierte Großausstellung „Gold“im Belvedere in Wien ausführlich mit Gold in der Kunst befasst. Für Hubertus Hamms Goldspiegel mit dem Titel „Portrait IV“hat er diese Expertise fortgeführt: In dem Buch „Narziss und Goldgrund“– ab heute, Montag, im Handel – erläutert er die kulturgeschichtliche Bedeutungen von Gold, Spiegel, Schatten, Raum und Porträt. Dessen Erscheinen wurde in der Vorwoche bei der – nach der Premiere 2016 in Berlin – zweiten Präsentation des goldenen Spiegels an einem dafür fantastischen Ort gefeiert, den Eisbach-Studios in München. Deren Halle 1 ist 1380 Quadratmeter groß und zwölf Meter hoch; zwei Drittel von Wänden und Plafond sind schwarz. Im vorderen weißen Drittel sind zudem Ecken und Kanten abgerundet, sodass noch mehr als im Dunklen des schwarzen Teils das Gefühl für den Raum schwindet.
Im Weiß vorn steht die mit 2,30 Metern Höhe hier klein wirkende Stele. Sie steht so nah an der Wand, dass der Blick in den auf ihrer Hinterseite montierten Goldspiegel nur im Spalt zwischen Wand und Stele möglich ist. In diesem etwa einen Meter schmalen Zwischenraum ergibt sich in der rund 45 Meter langen Halle plötzlich eine intime Nische, in der man sich in Gold sieht. Folglich ist das Selbstbild schattenlos. Und der Hintergrund des Spiegelbildes wirkt raumlos, also befreit von der in der Renaissance erfundenen und seither in Gemälden wie Fotografien exzessiv eingesetzten Zentralperspektive. So wird das Ich in den mittelalterlichen Goldgrund zurückkatapultiert. Wer das Gold in diesem byzantinisch ikonischen oder mittelalterlichen Sinne liest, erkennt im Selbstbild den unmittelbarsten Kontrast von Göttlichkeit und Individualität und zugleich die größtmögliche Nähe von Ich und Gott.
Der bewusste Blick in den goldenen Spiegel erlaubt allerdings noch andere Interpretationen und Assoziationen – je nach der dem Gold oder dem schattenlosen Selbstbild zuerkannten Bedeutung.
Thomas Zaunschirm weist etwa darauf hin, dass das Gold am Übergang von Mittelalter zu Neuzeit profanisiert worden sei: Es verschwindet aus dem Hintergrund der Gemälde und etabliert sich im damals aufkommenden Geld- und Bankgeschäft – erst in Münzen, dann im Goldstandard der Währungen. Den Geldwert von Gold bedenkend, ließe sich das Ich im Gold als vereinzelter Mensch in uferlosem Reichtum sehen – folglich im absoluten Materialismus und zugleich in unermesslicher Einsamkeit.
Was sagt der Künstler dazu? Der Goldspiegel sei in seiner extremen Reduziertheit so faszinierend wie das „Schwarze Quadrat“von Kasimir Malewitsch, erläutert Hubertus Hamm, beteuert allerdings: Er sei kein Maler, sondern Fotograf. Diesen Spiegel habe er in Auseinandersetzung mit den Parametern der Fotografie gemacht. „Für mich ist Fotografie ein Objekt, das ich herstelle, und nie eine Reproduktion.“Folglich ergebe sich in der für Filmund Fotoaufnahmen gestalteten Halle der Eisbach-Studios „die seltene Gelegenheit, dass Raum und Gegenstand eine funktionelle Einheit“bildeten. Der Blick in einen Spiegel ähnele der fotografischen Aufnahme. Anders gesagt: „Wir sind hier im Bauch einer Kamera.“
Thomas Zaunschirm ergänzt: „Die Fotografie ist ein Spiegel, der fixiert ist.“Also zeige ein Foto immer ein Bild der Vergangenheit. Der Blick in den Spiegel hingegen ist die größtmögliche Gegenwärtigkeit.
Während das Abbild auf dem Fotopapier oder in der Fotodatei bleibt, ist das Spiegelbild ephemer. Tritt man zur Seite, ist es weg. Oder vielleicht doch nicht? Thomas Zaunschirm erinnert daran, dass mancherorts Teilnehmer an religiösen Prozessionen früher kleine Spiegel zur Reliquie gehalten hätten, um deren Abbild einzufangen. Danach seien diese Spiegel als Amulette getragen worden.
Nur einen Abend war der goldene Spiegel in den Eisbach-Studios und wurde von Schauspieler Stefan Hunstein mit einer Rezitation aus Roland Barthes’ „Die helle Kammer“gewürdigt, worin der französische Philosoph das Betrachten von alten Fotos seiner Mutter schildert.
Nun ist der einzige goldene Spiegel der Welt wieder in einem Tresor und harrt eines Sammlers oder eines Museums. Derweil bleibt die Erinnerung daran und die Nachlese in Thomas Zaunschirms Buch. Buch:
„Das ist der einzige goldene Spiegel, den es je gegeben hat.“