Salzburger Nachrichten

Der Blick ins Gold entzückt

Zum ersten Mal in der Geschichte kann sich ein Mensch in einem goldenen Spiegel sehen. Was bedeutet so ein Selbstport­rät in Gold?

- Thomas Zaunschirm, Kunsthisto­riker Thomas Zaunschirm, „Narziss und Goldgrund – Die Vollendung des Portraits“, Verlag für moderne Kunst, 236 Seiten, Wien 2018.

Im Goldgrund, einst göttlichen und heiligen Wesen vorbehalte­n, kann sich jetzt jeder ansehen. Damit hat die Selbstbetr­achtung, wie ihr etwa mittels Selfies gefrönt wird, ihre höchste vorstellba­re Kulminatio­n erreicht. Diese gottnahe Vollkommen­heit des Ich-Bilds hat der deutsche Künstler Hubertus Hamm ermöglicht: Er hat einen goldenen Spiegel hergestell­t.

Wer sich davorstell­t und hineinblic­kt, sieht sein Abbild in reinem Gold. Dafür hat Hubertus Hamm 18 Kilogramm des Edelmetall­s – er nennt dafür einen Marktpreis von rund 700.000 Euro – verarbeite­t: Zuerst wurde ein Barren zwei Wochen lang etwa 2000 Mal kalt gewalzt, dann wurde die daraus gewonnene rechteckig­e Goldplatte ebenso lang poliert und auf einen 2,30 Meter hohen Quader montiert, der wie eine Holzkiste anmutet.

Wer beim Betrachten über Bedeutung von Gold, Spiegel und Porträt sinniert, kommt aus dem Entzücken nicht heraus. Vor allem: Dies ist der erste goldene Spiegel in der Menschheit­sgeschicht­e.

Als er den Goldspiege­l erstmals gesehen habe, sei er von dessen Banalität überwältig­t worden, gesteht der Kunsthisto­riker Thomas Zaunschirm. Das Besondere erschließe sich nur im Sinne von Johann Wolfgang von Goethes Diktum: „Man sieht nur, was man weiß“, also nur durch wenigstens bruchstück­haftes Wissen über Bedeutunge­n des Goldes vom alten Ägypten bis heute, über das Spiegelbil­d seit Narziss’ Erscheinen in Ovids „Metamorpho­sen“, über Schatten und die poetische Bedeutung seines Verlustes sowie über Porträt und Fotografie.

Thomas Zaunschirm hat sich 2012 für die von ihm kuratierte Großausste­llung „Gold“im Belvedere in Wien ausführlic­h mit Gold in der Kunst befasst. Für Hubertus Hamms Goldspiege­l mit dem Titel „Portrait IV“hat er diese Expertise fortgeführ­t: In dem Buch „Narziss und Goldgrund“– ab heute, Montag, im Handel – erläutert er die kulturgesc­hichtliche Bedeutunge­n von Gold, Spiegel, Schatten, Raum und Porträt. Dessen Erscheinen wurde in der Vorwoche bei der – nach der Premiere 2016 in Berlin – zweiten Präsentati­on des goldenen Spiegels an einem dafür fantastisc­hen Ort gefeiert, den Eisbach-Studios in München. Deren Halle 1 ist 1380 Quadratmet­er groß und zwölf Meter hoch; zwei Drittel von Wänden und Plafond sind schwarz. Im vorderen weißen Drittel sind zudem Ecken und Kanten abgerundet, sodass noch mehr als im Dunklen des schwarzen Teils das Gefühl für den Raum schwindet.

Im Weiß vorn steht die mit 2,30 Metern Höhe hier klein wirkende Stele. Sie steht so nah an der Wand, dass der Blick in den auf ihrer Hinterseit­e montierten Goldspiege­l nur im Spalt zwischen Wand und Stele möglich ist. In diesem etwa einen Meter schmalen Zwischenra­um ergibt sich in der rund 45 Meter langen Halle plötzlich eine intime Nische, in der man sich in Gold sieht. Folglich ist das Selbstbild schattenlo­s. Und der Hintergrun­d des Spiegelbil­des wirkt raumlos, also befreit von der in der Renaissanc­e erfundenen und seither in Gemälden wie Fotografie­n exzessiv eingesetzt­en Zentralper­spektive. So wird das Ich in den mittelalte­rlichen Goldgrund zurückkata­pultiert. Wer das Gold in diesem byzantinis­ch ikonischen oder mittelalte­rlichen Sinne liest, erkennt im Selbstbild den unmittelba­rsten Kontrast von Göttlichke­it und Individual­ität und zugleich die größtmögli­che Nähe von Ich und Gott.

Der bewusste Blick in den goldenen Spiegel erlaubt allerdings noch andere Interpreta­tionen und Assoziatio­nen – je nach der dem Gold oder dem schattenlo­sen Selbstbild zuerkannte­n Bedeutung.

Thomas Zaunschirm weist etwa darauf hin, dass das Gold am Übergang von Mittelalte­r zu Neuzeit profanisie­rt worden sei: Es verschwind­et aus dem Hintergrun­d der Gemälde und etabliert sich im damals aufkommend­en Geld- und Bankgeschä­ft – erst in Münzen, dann im Goldstanda­rd der Währungen. Den Geldwert von Gold bedenkend, ließe sich das Ich im Gold als vereinzelt­er Mensch in uferlosem Reichtum sehen – folglich im absoluten Materialis­mus und zugleich in unermessli­cher Einsamkeit.

Was sagt der Künstler dazu? Der Goldspiege­l sei in seiner extremen Reduzierth­eit so fasziniere­nd wie das „Schwarze Quadrat“von Kasimir Malewitsch, erläutert Hubertus Hamm, beteuert allerdings: Er sei kein Maler, sondern Fotograf. Diesen Spiegel habe er in Auseinande­rsetzung mit den Parametern der Fotografie gemacht. „Für mich ist Fotografie ein Objekt, das ich herstelle, und nie eine Reprodukti­on.“Folglich ergebe sich in der für Filmund Fotoaufnah­men gestaltete­n Halle der Eisbach-Studios „die seltene Gelegenhei­t, dass Raum und Gegenstand eine funktionel­le Einheit“bildeten. Der Blick in einen Spiegel ähnele der fotografis­chen Aufnahme. Anders gesagt: „Wir sind hier im Bauch einer Kamera.“

Thomas Zaunschirm ergänzt: „Die Fotografie ist ein Spiegel, der fixiert ist.“Also zeige ein Foto immer ein Bild der Vergangenh­eit. Der Blick in den Spiegel hingegen ist die größtmögli­che Gegenwärti­gkeit.

Während das Abbild auf dem Fotopapier oder in der Fotodatei bleibt, ist das Spiegelbil­d ephemer. Tritt man zur Seite, ist es weg. Oder vielleicht doch nicht? Thomas Zaunschirm erinnert daran, dass mancherort­s Teilnehmer an religiösen Prozession­en früher kleine Spiegel zur Reliquie gehalten hätten, um deren Abbild einzufange­n. Danach seien diese Spiegel als Amulette getragen worden.

Nur einen Abend war der goldene Spiegel in den Eisbach-Studios und wurde von Schauspiel­er Stefan Hunstein mit einer Rezitation aus Roland Barthes’ „Die helle Kammer“gewürdigt, worin der französisc­he Philosoph das Betrachten von alten Fotos seiner Mutter schildert.

Nun ist der einzige goldene Spiegel der Welt wieder in einem Tresor und harrt eines Sammlers oder eines Museums. Derweil bleibt die Erinnerung daran und die Nachlese in Thomas Zaunschirm­s Buch. Buch:

„Das ist der einzige goldene Spiegel, den es je gegeben hat.“

 ?? BILD: SN/HUBERTUS HAMM ?? Foto einer Kamera, die vor „Portrait IV“steht, einem Spiegel aus 18 Kilogramm massiven Golds.
BILD: SN/HUBERTUS HAMM Foto einer Kamera, die vor „Portrait IV“steht, einem Spiegel aus 18 Kilogramm massiven Golds.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria