Warum China in Afrika die Nase vorn hat
Europa sei dabei, seine Chancen in Afrika zu verspielen, sagt Professor Hodu aus Kamerun. Österreich könnte zum Vermittler zwischen EU und Afrika werden.
SN: China wird in Afrika immer mehr aktiv. Ist da ein Wettlauf um Einfluss im Gang? Yenkong Ngangjoh Hodu: Ich sehe es eher so, dass Afrika eine zweite Option hat. Die Welt hat sich verändert, sie wird multipolar. China kann Afrika bieten, was der Kontinent braucht und will. Chinesische Unternehmen investieren und finanzieren Straßenbauprojekte wesentlich günstiger als Europa. Damit schaffen sie Arbeitsplätze. Es gibt gemeinsame Interessen, das ist eine Win-win-Situation, von der beide Seiten etwas haben. Das hätte Europa schon längst tun sollen. SN: Was macht China in Afrika konkret besser als Europa? China verfolgt eine Politik der Nichteinmischung und konzentriert sich auf Business, auf das Geschäft. Auf diese Weise ist viel Infrastruktur entstanden. Die EU dagegen propagiert immer ihre Werte von Demokratie und guter Staatsführung, aber europäische Unternehmen machen in Afrika mitunter das genaue Gegenteil. Auch Europäer unterstützen diktatorische Regimes und greifen nicht ein, wenn Menschenrechte verletzt werden. So hat Europa viel Boden in Afrika verloren. Die Europäer erklären, sie seien unsere Freunde, aber wir sehen das nicht immer so. Chinesen sind erst seit Kurzem in Afrika aktiv, aber sie investieren und schaffen Arbeitsplätze. Es gibt freilich auch Vorwürfe, dass sie Arbeiter nicht gut behandeln, die Löhne niedrig sind und die Bedingungen schlecht. SN: Treffen die Vorwürfe zu? Darin steckt wohl auch etwas Wahres. Aber hier wird auch mit zweierlei Maß gemessen. Die EU kritisiert die Chinesen, aber bei ihren eigenen Investitionen in Afrika wollen sie oft keine Steuer zahlen. Eine französische Firma hat in Kamerun jahrelang keine Steuern bezahlt, Behörden bestochen und Arbeiter schlecht entlohnt. Als der Bürgermeister das ändern wollte, landete er im Gefängnis. Sind das die europäischen Werte? Die Chinesen nehmen Kritik ernst, sie versuchen die Dinge zu verbessern und Löhne zu erhöhen. Beim Afrika-China-Gipfel wurden Investitionen über 60 Mrd. Dollar versprochen, mindestens 10 Mrd. davon als Garantie und Absicherung. SN: Das Abkommen von Cotonou, das den Freihandel zwischen der EU und Afrika regelt, läuft 2020 aus. Wie ist Ihre Bilanz? Es gab gute Absichten, um die Handelsbeziehungen zwischen Afrika und Europa nach dem Kolonialismus neu aufzustellen. Dieses Ziel wurde aber nie erreicht. Afrika kann Agrarprodukte zollfrei exportieren, darf sie aber weder bearbeiten noch veredeln. Afrika kann also nur Mangos oder Äpfel nach Europa exportieren, müsste für Fruchtsaft aber Zölle zahlen. Zudem sagen die Europäer, das erfüllt leider unsere Standards nicht. Afrika braucht Industrialisierung und Abkommen, die erlauben, auch verarbeitete Produkte nach Europa zu liefern. Die EU müsste ihre Haltung zu Standards ändern und Zölle für solche Importe abschaffen. Der weltweite Markt für Schokolade ist 100 Mrd. Dollar groß. Der größte Teil der Kakaobohnen kommt aus Afrika. Aber alle Exportländer zusammen verdienen damit nicht einmal 6 Mrd. Dollar. SN: Sie sagen, die bestehenden Freihandelsverträge reduzierten Afrika auf die Rolle eines Rohstofflieferanten? Genau, das ist Wesen und Architektur des Cotonou-Abkommens. Um in eine Win-win-Position zu kommen, brauchen wir Industrialisierung, dazu ruft auch die Agenda 2063 auf, der Entwicklungsplan der Afrikanischen Union. Niemand hat etwas gegen Freihandel. Aber er muss wirklich frei sein. Das ist jetzt nicht der Fall. Die EU-Agrarwirtschaft vergibt massive Förderungen an EU-Bauern, die mit afrikanischen Bauern im Wettbewerb stehen. Aber von Afrika verlangt die EU offene Grenzen, um Afrika mit dem geförderten Hühnerfleisch zu überfluten. SN: Was müsste ein neues Handelsabkommen mit Europa leisten? Man muss zunächst dafür sorgen, dass nicht die Fehler des CotonouAbkommens verlängert werden. Man könnte etwa europäische Schokoladeerzeuger dazu bringen, in Afrika zu investieren und zu produzieren, das würde auch die Transportkosten verringern. Davon würde auch Afrika profitieren.
Die afrikanischen Länder wollen auch nicht ständig in einen Topf geworfen werden in der sogenannten AKP-Gruppe (afrikanische, karibische und pazifische Länder; Anm.). Die haben nicht viel mehr gemeinsam, als dass sie alle einmal kolonialisiert waren. SN: Welche Rolle kann Österreich als EU-Ratsvorsitzender in diesem Prozess spielen? Österreich könnte ein guter Vermittler sein. Als Land, das nicht durch eine koloniale Vergangenheit belastet ist, hat es eine gute und neutrale Position. Österreich könnte für Investitionen in Afrika werben. Es gibt viele Chancen für Investoren aus Europa, in der Landwirtschaft, Infrastruktur oder bei Dienstleistungen. Österreich könnte auch dazu beitragen, dass sich die Diskussion über Afrika verändert. Das ist wichtig, sonst wird niemand gern in Afrika investieren. Das Bild eines von Armut und Kriegen gebeutelten Kontinents stimmt nicht mehr. Afrika hat 54 Länder, nur in einigen wenigen gibt es Krieg. SN: Was bedeutet die Flüchtlingsdebatte für Afrika? Sie erhöht den Druck. Wer sich auf so eine gefährliche Reise macht, weiß, dass er sterben kann, aber er nimmt es in Kauf. Die meisten würden zu Hause bleiben, wenn es Investitionen und Arbeitsplätze in ihren Ländern gäbe. Stattdessen unterstützt etwa Frankreich in Kamerun das Regime von Paul Biya, der seit 36 Jahren an der Macht ist. Solche Regimes können Länder an den Rand einer Bürgerkriegs bringen – was neue Flüchtlinge bedeutet. SN: Wie bewerten Sie die aktuelle Haltung der EU zu Flüchtlingen? Wenn Europa Soldaten in Nordafrika stationiert, um Migration zu stoppen, dann bekämpft man nur die Symptome. Aber man hindert Migranten nicht daran, weiterhin zu versuchen, nach Europa zu kommen. Mit solchen Mitteln bekämpft man nur die Symptome. Die jungen Leute würden ja bleiben wollen. Schauen Sie nur, woher die Migranten kommen und wer dort an der Macht ist. Libyen etwa war ein reiches und stabiles Land. Es wurde durch einen unnötigen Krieg destabilisiert. SN: Ökonomen sehen Afrika zwischen Wachstum und Chaos. Was ist Ihre Perspektive? Afrika ist auf dem besten Weg, eine Wirtschaftsmacht zu werden. Es gibt großes Potenzial und sehr viele junge Menschen. Das Wachstum liegt bei durchschnittlich 5 Prozent, während Europa um 2 Prozent wächst. Als die Finanzkrise die meisten Länder traf, wuchsen afrikanische Länder um 7 Prozent.
Europa könnte helfen, indem es die enorme Kapitalflucht stoppt. Viel Geld aus Korruption fließt zu Banken in der Schweiz, nach London, Paris oder auf die Cayman-Inseln. Mit diesen Milliarden könnte man den Kontinent neu aufbauen. Dann wären die Länder Afrikas reich. Und es gäbe auch keine Wirtschaftsmigration mehr. Yenkong Ngangjoh Hodu:
Der Kameruner ist Professor für Wirtschaftsrecht an der University of Manchester. Er berät Regierungen und Konzerne bei der Ausarbeitung internationaler Handelsverträge.