Das nächste Himmelfahrtskommando
„Sound of Music“, „I am from Austria“oder bald „Stille Nacht“: Musical-Regisseur Andreas Gergen feiert mit urösterreichischen Stoffen Erfolge. Warum der Deutsche diese Herausforderung liebt.
Das Weiße Rössl am Wolfgangsee war für Andreas Gergen der erste Ort, den er in Österreich besucht hat. Mit seiner Tante aus dem Allgäu habe er sich dort als Kind umgesehen, erzählt er und lächelt gequält, weil er sich an eine unangenehme Busfahrt erinnert. Ob das aus Filmen so bekannte Hotel trotzdem den Grundstein für die Liebe des Deutschen aus Saarlouis zum Nachbarland gelegt hat, ist nicht verbrieft. Fest steht, dass der heute 44-Jährige seine Finger nicht von Österreich lassen kann und so gern wie erfolgreich mit dessen musikalischen „Heiligtümern“arbeitet.
Dem Salzburger Publikum ist Gergen, ein Bäckersohn, etwa als Operndirektor des Landestheaters von 2011 bis 2017 bekannt – und als jener Regisseur, der dort „Sound of Music“inszeniert hat. Im November feiert „Meine Stille Nacht“in der Felsenreitschule Premiere und in Wien wird derzeit seine Umsetzung von „I am from Austria“mit Rainhard Fendrichs Texten und Melodien im Raimundtheater beklatscht.
Wie ein Deutscher dazu kam, die Aufführung rund um die „heimliche Hymne“der Österreicher in Angriff zu nehmen? „Schon vor 15 Jahren hatte ich mit Rainhard Fendrich in Berlin zu tun. Ihm gefällt mein Stil, ich war sein Wunschkandidat für das Musical“, sagt Gergen. Er erklärt, dass es sich lohne, sich mit „Nationalheiligtümern“anderer Länder auseinanderzusetzen. „Der Blick von außen tut gut. Das Spiel mit Klischees im besten Sinne birgt Eindeutigkeit und Klarheit für mich. Auch wenn das Projekt zum Himmelfahrtskommando hätte werden können – aber am Ende ist ja alles gut gegangen“, sagt er fröhlich.
Apropos Klischees: Wird „Meine Stille Nacht“stall-, ochs- und eselfrei sein? Gergen winkt ab: „Nee, das würd’ ich nicht sagen.“Am Schluss des Andreas Gergen, Musical-Regisseur Musicals soll eine Traditionsveranstaltung als eine Art Krippenspiel gezeigt werden. Und in einer Sequenz werde es Anspielungen auf die klassischen Bilder geben. Ob der Salzburger Erzbischof die Inszenierung von „Stille Nacht“als Musical gut finden wird? Die Antwort des Regisseurs kommt schnell und mit fester Stimme: „ Ich denke, dass ich so glasklar wie möglich meine durchaus christliche Botschaft rüberbringe. Dieser kann man sich nicht versperren, auch wenn sie zum Teil sehr modern und ungewöhnlich – etwa mit Rap – ist. Mein Team und ich versuchen absolut, den christlichen Gedanken zu transportieren.“Dabei spiele Inklusion eine Rolle – als das Einbeziehen von Menschen aller Geschlechter, Nationalitäten und sexuellen Ausrichtungen.
Privat ist Andreas Gergen mit Christian Struppeck liiert, dem Intendanten der Vereinigten Büh- nen Wien. Die beiden pflegen eine Fernbeziehung, seit 18 Jahren. Zwar teilen sich beide eine Wohnung in Berlin, Gergen ist dort aber wegen seiner Engagements selten anzutreffen. Und genau das scheint für das Paar ein Geheimrezept zu sein: „Dieses Beziehungssystem hat sich bewährt. Man lernt sich über die Distanz immer wieder zu vermissen und ist dafür froh, mehrere Wochen im Sommer gemeinsam zu verbringen – und dann auch wieder eigenständig zu sein.“
Wegbegleiter beschreiben den 44-jährigen Gergen als bei der Arbeit konzentrierten Mann, der sich an die Stufen der Bühne schmiegt, um die beste Sicht auf das Geschehen vor sich zu haben. Sein Team motiviere er auf sympathische Art – auch wenn er hohe Ansprüche habe. Ihm kommt wohl entgegen, dass er die „Bretter, die die Welt bedeuten“, nicht nur als Regisseur, sondern auch als Schauspieler, Sänger und Tänzer kennt. Alle diese Formen der Kunst hat er auch vor und nach seinem Studium an der Hochschule der Künste in Berlin trainiert und verfeinert. Mit seiner Arbeit als Regisseur sieht er sich als Geschichtenerzähler, der Stoffe ins Heute überträgt.
Nicht zuletzt deshalb finden sich in seinen Musicals Bezüge zu aktuellen gesellschaftspolitischen – und -kritischen – Themen. Dieser Aspekt ist dem Künstler ganz offensichtlich wichtig. Beispiel „I am from Austria“: Da lässt Gergen den von seinen Eltern unterschätzten Hotelierssohn und Hauptdarsteller Suppe an Obdachlose ausgeben. Auch für „Meine Stille Nacht“seien „zwei, drei“solcher Blicke auf aktuelle Nöte vorgesehen. Immerhin: Das Weihnachtslied aus dem Salzburger Land entstand in Zeiten großer sozialer Not, während Napoleon Krieg über das Land zog und die Neuordnung Europas anstand. „Im Musical kommen daher nicht nur die Strophen, die wir zu Weihnachten traditionell singen, zum Tragen. Sondern auch die übrigen, politisch angehauchten Strophen“, erklärt Gergen.
Zentral sei für ihn bei der Arbeit mit diesem kulturellen Schatz, wie er „Stille Nacht“bezeichnet, auch die Textpassage „Tradition bedeutet nicht die Anbetung der Asche, sondern das Weitertragen der Flamme“. Dafür bediene er den Farbkasten, den ihm die Theaterarbeit biete, in seiner ganzen Vielfalt und Breite.
„Tradition bedeutet nicht die Anbetung der Asche, sondern das Weitertragen der Flamme.“