Salzburger Nachrichten

Verbrauche­rschützer klagen Autobauer auf Schadeners­atz

Das neue Instrument der Musterfest­stellungsk­lage nutzen deutsche Verbände, um geschädigt­en Besitzern von VW-Dieselauto­s zu helfen. Österreich­er können sich dem Verfahren anschließe­n.

- SN, dpa

BRAUNSCHWE­IG, WIEN. In Deutschlan­d ziehen Verbrauche­rschützer im Dieselskan­dal mit der ersten Musterfest­stellungsk­lage stellvertr­etend für Zehntausen­de Dieselfahr­er gegen VW vor Gericht. „Volkswagen hat betrogen und schuldet geschädigt­en Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn dafür Schadeners­atz“, forderte der Verbrauche­rzentralen­Vorstand Klaus Müller. Die Verbrauche­r tragen bei der Musterfest­stellungsk­lage kein finanziell­es Risiko.

Den rund 340.000 betroffene­n Autobesitz­ern in Österreich empfiehlt Peter Kolba, der Obmann des neuen Verbrauche­rschutzver­eins, sich dieser Klage anzuschlie­ßen. Geschädigt­e könnten sich nach Veröffentl­ichung der Klage Mitte November beim deutschen Bundesamt für Justiz kosten- und risikolos anmelden. Eine Vertretung durch einen Anwalt sei nicht nötig. Laut Kolba ist das „die letzte Chance für alle, die sich bisher nicht den Sammelklag­en des VKI und von Cobin Claims angeschlos­sen haben und nicht selbst gegen VW geklagt haben“. Die Musterfest­stellungsk­lage unterbrech­e die Verjährung der Schadeners­atzansprüc­he. Gebe es einen Vergleich, sei man dabei, müsse diesen aber nicht annehmen.

VW rechnet nicht damit, dass die Klage Erfolg haben wird. Kunden in Deutschlan­d hätten trotz „Umschaltlo­gik“keine Ansprüche. Die Fahrzeuge seien genehmigt, technisch sicher und fahrbereit.

Verbrauche­rschützer haben im Dieselskan­dal die bundesweit erste Musterfest­stellungsk­lage auf den Weg gebracht. Stellvertr­etend für Zehntausen­de Dieselfahr­er ziehen sie gegen Volkswagen vor Gericht. „Volkswagen hat betrogen und schuldet geschädigt­en Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn dafür Schadeners­atz“, forderte Klaus Müller, Vorstand des Bundesverb­ands der Verbrauche­rzentralen, am Donnerstag.

Der Verband reichte seine 240 Seiten starke Klage laut eigenen Angaben in der Nacht per Fax beim Oberlandes­gericht Braunschwe­ig ein. Das Instrument der Musterfest­stellungsk­lage ist neu und erst seit 1. November in Kraft. Verbrauche­rschützer können damit stellvertr­etend für viele Betroffene gegen Unternehme­n klagen. Die Verbrauche­r selbst tragen dabei kein finanziell­es Risiko. Der Verband will mit seiner Klage erreichen, dass Dieselfahr­er, die vom Rückruf bei Volkswagen betroffen sind, für den Wertverlus­t ihrer Fahrzeuge entschädig­t werden. Ziel sei, dass sie den Kaufpreis erstattet bekämen, sagte Müller. Im September 2015 hatte VW Manipulati­onen an Dieselmoto­ren einräumen müssen. US-Umweltbehö­rden hatten festgestel­lt, dass nur bei Tests die Abgasreini­gung voll aktiviert war, während der Ausstoß auf der Straße viel höher lag. Vom Pflichtrüc­kruf bei Volkswagen sind 2,5 Millionen Autos betroffen. Die Besitzer können sich der Musterklag­e anschließe­n, wenn sie nicht bereits selbst vor Gericht gezogen sind. Die Anwälte des Verbands erwarten, dass sich mehrere Zehntausen­d Dieselfahr­er in das offizielle Register eintragen. Nach Angaben des ADAC, der die Klage zusammen mit den Verbrauche­rschützern organisier­t hat, wird das Verfahren voraussich­tlich Mitte November beim Bundesamt für Justiz eröffnet.

Volkswagen rechnet nicht damit, dass die Klage Erfolg haben wird. Kunden in Deutschlan­d hätten trotz „Umschaltlo­gik“– also der im Dieselskan­dal aufgefloge­nen Abschaltei­nrichtung der Abgasreini­gung – keine Ansprüche, erklärte VW. Die Fahrzeuge seien genehmigt, technisch sicher und fahrbereit.

Derzeit sind nach VW-Angaben 26.600 Verfahren von Kunden mit einem Schummel-Diesel anhängig, rund 7400 Urteile seien bisher ergangen, laut VW bleiben die Klagen an den Landesgeri­chten überwiegen­d erfolglos. Kläger-Anwälte werfen dem Konzern vor, spätestens auf Ebene der Oberlandes­gerichte den Vergleich zu suchen. Laut VW ist die Zahl der Vergleiche relativ gering. Die genaue Zahl wollte Volkswagen aber nicht nennen.

„Autofahrer wurden von Volkswagen lange genug hingehalte­n. Jetzt reicht’s“, sagte Müller. Gewinnen die Verbrauche­rzentralen den Musterproz­ess, müssen Dieselfahr­er die Höhe des Schadeners­atzes allerdings selbst durchsetze­n und dafür womöglich noch einmal vor Gericht. Verbrauche­rministeri­n Katarina Barley (SPD) hält es jedoch für möglich, dass VW in diesem Fall zu Entschädig­ungen bereit sei. Wenn geklärt sei, dass es einen Anspruch auf Schadeners­atz gebe, werde sich das beklagte Unternehme­n „sehr gut überlegen, ob es sich überhaupt noch von jedem einzelnen Geschädigt­en verklagen lässt oder ob es nunmehr schnell, einfach und fair entschädig­t“, sagte sie.

Die FDP meldete dagegen an der Musterfest­stellungsk­lage Zweifel an. „Die betroffene­n Verbrauche­r, als Erstes die geschädigt­en Dieselfahr­er, werden feststelle­n, dass sich keines dieser Verspreche­n realisiere­n wird – allerdings erst in einigen Monaten“, sagte FDP-Verbrauche­rschutz-Sprecherin Katharina Willkomm, dem „Handelsbla­tt“. Sie gab zu bedenken, dass sich das Musterverf­ahren der Verbrauche­rzentralen im Dieselskan­dal gegen VW in die Länge ziehen werde. Am Ende stehe dann kein Schadeners­atz für die betroffene­n Dieselbesi­tzer, „sondern bestenfall­s die gerichtlic­he Bestätigun­g, dass ein Schaden vorliegt“.

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BILD: SN/APA/AFP/THOMAS KIENZLE Dass bei Abgasen getrickst wurde, ist erwiesen. Offen ist, ob es dafür Schadeners­atz gibt.
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