Hofburg Schweizermesser der Republik
Bundespräsident und Parlament sind schon dort, das Haus der Geschichte kommt: Die Hofburg hat Platz.
ALEXANDER PURGER WIEN.
Wie lautet die Amtsadresse des Herrn Bundespräsidenten? Wo befinden sich einige der wichtigsten Museen der Republik? In welchem Ausweichquartier tagt das Parlament? Wo tanzt das weiße Rossballett der Lipizzaner? An welchem Ort feiert Österreich alljährlich seinen Nationalfeiertag? Wo finden viele der großen Bälle Wiens statt? Die Antwort ist immer die gleiche: in der Hofburg.
Die ehemals kaiserliche Residenz ist – so seltsam es klingt – für die Republik so etwas wie das bauliche Schweizermesser: immer und für alles einsetzbar. Sogar das Haus der Geschichte, das ab kommender Woche den Weg der Republik seit 1918 beleuchten soll, ist in der Hofburg untergebracht.
Raum bietet sie genug, denn mit all ihren Trakten, Parks, Plätzen und Museen ist die Hofburg einer der größten historischen Baukomplexe der Welt. Die Gesamtfläche des Hofburg-Areals beträgt 300.000 Quadratmeter, das entspricht 42 Fußballfeldern. Auch andere Zahlen über die Hofburg sind beeindruckend: 2600 Räume, 14 Brunnen, 170 Schornsteine, 2500 Fenster, 18 Denkmäler, 19 Höfe, 54 Stiegenhäuser, 18 Trakte werden hier gezählt. Außerdem gibt es in der Hofburg gleich zwei Reitplätze – die Sommer- und die Winterreitschule – sowie ein eigenes Stallgebäude – die Stallburg.
Neben neun öffentlichen Einrichtungen wie dem Parlament und der Präsidentschaftskanzlei beherbergt die Hofburg auch acht Museen und 49 Privatwohnungen. Und: Sie verfügt über einen eigenen Wachkörper. Die Hofburg-Wache ist die Betriebsfeuerwehr des gesamten Areals.
Die Geschichte der Hofburg ist lang. Ihre Anfänge gehen auf den Babenberger-Herzog Leopold VI. zurück, der im 13. Jahrhundert am höchsten Punkt der damaligen Stadt eine neue Residenz plante. Die erste Grundstruktur, ein Kastell mit vier Ecktürmen, legte der legendäre Staufer-Kaiser Friedrich II. bei einem Wien-Besuch fest. Diese viereckige Ur-Burg ist bis heute im Schweizerhof zu erkennen. Aus ihr erstand alles andere.
Die Burg war nicht nur Residenz, sondern auch Wehranlage. Mehrere Monarchen wurden hier von Feinden oder auch von aufgebrachten Bürgern belagert. Bei der Zweiten Türkenbelagerung 1683 war die Hofburg der Brennpunkt der Kämpfe. Als Napoleon 1809 Wien besetzte, ließ er die Burgbastei vor der Hofburg sprengen. Dieses Gebiet ist heute der Heldenplatz.
Forscher der Akademie der Wissenschaften haben in den vergangenen Jahren akribisch die Geschichte der Hofburg erforscht. Zum Beispiel fanden sie heraus, dass die Balken des Dachstuhls der Hofburgkapelle von Bäumen stammen, die im Jahr 1421 geschlägert wurden. Dieses Jahr ist auch auf andere Weise mit der Hofburg verknüpft. Der Habsburger-Herzog Albrecht V. ließ damals die Juden brutal aus Wien vertreiben. Zu ihrer Demütigung ließ er jüdische Grabsteine ins Fundament der damals gerade im Bau befindlichen Hofburgkapelle einmauern. Die Grabsteine ruhen mittlerweile wieder ordnungsgemäß auf einem jüdischen Friedhof in Wien. Die 1421 gefällten Bäume tragen das Dach der Kapelle immer noch.
Forschungsergebnisse wie diese wurden von der Akademie der Wis- senschaften in fünf monumentalen Werken auf Tausenden Buchseiten publiziert. Für den interessierten Laien sind sie nun in einem 270 Seiten umfassenden, reich bebilderten Prachtband „Die Wiener Hofburg. Sechs Jahrhunderte Machtzentrum in Europa“zusammengefasst.
Der Untertitel spielt darauf an, dass die Hofburg sechs Jahrhunderte lang der Sitz der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs war. In der Schatzkammer werden bis heute die Reichsinsignien aufbewahrt, etwa die Heilige Lanze.
Die Baugeschichte der Hofburg umfasst an die 800 Jahre. Erst 2017 wurden vor den historischen Gebäuden drei moderne Container errichtet, die dem Parlament als Ausweichquartier dienen. Sie sollen nach der Sanierung des Parlamentsgebäudes an der Ringstraße wieder entfernt werden, was eher ein Novum in der Geschichte der Hofburg darstellt. Denn bisher wurde zum Bestehenden immer Neues dazugebaut, was die Vielfalt, aber auch die Unübersichtlichkeit des Baukomplexes erklärt.
Jeder Kaiser verewigte sich mit einem Zubau: Leopold I. etwa ließ den Leopoldinischen Trakt errichten, in dem heute Bundespräsident Alexander Van der Bellen amtiert. Unter Karl VI. wurden unter anderem die Nationalbibliothek und die Hofstallungen gebaut, die heute das Museumsquartier beherbergen. In der Regierungszeit von Franz Joseph I. wurden der Michaelertrakt mit der charakteristischen Kuppel sowie die Neue Burg errichtet.
Dieser großzügig geschwungene Gebäudeflügel am Heldenplatz wurde bis zum Ende der Monarchie nicht ganz fertig und erst nach 1918 von der Republik fertiggestellt. Es dürfte in der Weltgeschichte nicht allzu oft vorgekommen sein, dass an der Residenz eines Monarchen nach dessen Absetzung weitergebaut wurde …
In der Neuen Burg befindet sich der wohl berüchtigtste Bauteil der Hofburg, der sogenannte Hitlerbalkon. Von diesem Balkon, der eigentlich eine Terrasse ist, verkündete Hitler im März 1938 das Ende des freien Österreich.
42 Fußballfelder voll Geschichte Heilige Lanze und „Hitlerbalkon“