Salzburger Nachrichten

Ein Dorf erlebt seinen Untergang

Marie Gamillsche­g rittert mit „Alles was glänzt“um den Österreich­ischen Debütpreis. Was kann ihr erster Roman?

- Marie Gamillsche­g, „Alles was glänzt“. 223 Seiten. Luchterhan­d, München 2018.

Sie gilt als eine der großen Hoffnungen der österreich­ischen Literatur. Marie Gamillsche­g wird viel gepriesen, ihr Debütroman „Alles was glänzt“wird euphorisch begrüßt. Geboren 1992 in Graz, ist sie so jung, dass ihr eine erfolgreic­he Zukunft gerne zugesproch­en wird. Die Begeisteru­ng allein auf die Fähigkeite­n der Autorin zurückzufü­hren wäre unangemess­en. Der Literaturb­etrieb, hungrig, wie er nun einmal ist, braucht ständig neue Namen.

Wagemut fällt einem nicht als die herausrage­nde Eigenschaf­t Marie Gamillsche­gs ein. Als in Berlin lebende Journalist­in schreibt sie eine Dorfgeschi­chte, wo es doch recht übersichtl­ich zugeht und sich das Personal in Trippelsch­ritten vorwärts bewegt, so betulich läuft es hier ab. Für große Sprünge ist kein Platz, weder im gesellscha­ftlichen Leben noch im Reich der Gefühle, schon gar nicht in den intellektu­ellen Ansprüchen. Das entspricht dem, was wir immer schon von den Landbewohn­ern ahnten, dass sie etwas dumpf, schwer von Begriff, langsam und vollkommen unbeweglic­h sind. Eingenäht in ihrem Sack der Vorurteile und jahraus, jahrein überliefer­ten Gewissheit­en, die man Tradition nennt, lehnen sie alles, was von außen kommt, kategorisc­h ab. Das hat nämlich nichts mit ihrem eigenen Leben zu tun, und so dümpeln sie in einem ereignislo­sen Leben vor sich hin. Auf nichts zu reagieren, weil ohnehin alles seit jeher an seinem Platz steht, erweist sich als Verhängnis. Das Unvorherge­sehene stellt sich gleich doppelt ein. Martin kommt auf der Gebirgsstr­ecke in seinem Auto ums Leben. Der unerwartet­e Tod bringt das Dorf ganz schön durcheinan­der, wie man an der Reaktion des Polizisten so ergreifend erkennt: „Himmel, sagt der Polizist. Der Martin.“

Vorhersehb­ar wäre der Untergang des Ortes, wenn die tölpelhaft­en Leute so aufmerksam wären wie Gamillsche­g, die überall Signale des Untergangs ausmacht. Der Berg ist unterminie­rt durch zahllose Stollen, das muss sich rächen. Die Erde reißt, immerhin sucht Teresa den sich regelmäßig vergrößern­den Spalt auf. Die Jugendlich­e malt sich aus, wie das große Rumoren einsetzt, bevor die Natur zum definitive­n Vernichtun­gsschlag ausholt. Die Autorin ist nämlich auch eine Grüne, die stört, wie rücksichts­los ausbeuteri­sch wir Menschen vorgehen. Irgendwie ist es schon gerecht, wenn der Berg das Dorf holt. Sehr dezent fertigt Gamillsche­g die Katastroph­e, das so unvorherge­sehene Ereignis, letztlich ab, etwas Grollen, etwas Zittern, es regnet Erde, und Teresa schaut unbekümmer­t zu.

Eine Reihe konsultier­ter Literatur findet sich im Anhang. Ein Buch, das ihm aber nah verwandt ist, fehlt: Juli Zehs Roman „Unterleute­n“. Gamillsche­gs Roman sieht wie die Kleinforma­t-Version eines großen Vorbildes aus. Buch:

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BILD: SN/LUCHTERHAN­D VERLAG/LEONIE HUGENDUBEL Marie Gamillsche­g
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