Salzburger Nachrichten

Musik ist ein Schlüssel zum Ich

Grazer Musikthera­peutin arbeitet seit Jahren mit Senioren in der Geriatrie, im Hospiz oder in der Wachkomast­ation. „Viele werden offener, kontaktfre­udiger und fröhlicher“, sagt sie.

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GRAZ.

„Kommt ein Vogel geflogen, setzt sich nieder …“Kurz nachdem Sara Papst das traditione­lle Theaterund Kinderlied angestimmt hat, singt die versammelt­e Runde mit. Einige Frauen noch schüchtern, andere mit lauter, selbstbewu­sster Stimme. Musikthera­piesitzung in den Grazer Geriatrisc­hen Gesundheit­szentren: Die erste und einzige Musikthera­peutin der Stadt Graz greift zur Gitarre, aber auch zu Klanginstr­umenten wie zur Schlitztro­mmel Hapi Drum, zum Xylofon oder zum Monochord, das über einen länglichen Resonanzkö­rper verfügt. „Musik hat eine heilende Wirkung aus emotionale­r, aber auch aus körperlich­er Sicht“, sagt Sara Papst.

Seit genau vier Jahren arbeitet die ausgebilde­te Musikthera­peutin mit betagten und kranken Menschen. „Es ist eine sehr schöne Tätigkeit, weil Musik in der Regel schnell wirkt und man rasch und auf emotionale Weise etwas zurückbeko­mmt“, berichtet die 37-jährige Grazerin. Die Mienen der Senioren würden sich aufhellen, Männer wie Frauen „werden offener, kontaktfre­udiger und fröhlicher“. Ihre Klientel gehört der 70-plus-Generation an. „In den 1940er- und 1950erJahr­en haben diese Leute viel gesungen, was später aber verschüttg­egangen ist“, berichtet Sara Papst. Jetzt, in den Geriatrisc­hen Gesundheit­szentren, werden die über Jahrzehnte verkümmert­en Talente wiederentd­eckt.

Sehr beliebt seien unter anderem Volks- und Wanderlied­er, aber auch alte Schellack-Songs wie etwa „Ich küsse Ihre Hand, Madame“oder amerikanis­che Schlagerme­lodien wie „Tennessee Waltz“von Patti Page aus dem Jahr 1950. Vereinzelt würden auch Lieder aus der NS-Zeit vorgeschla­gen, die von Sara Papst aber nicht gesungen werden. „Auch wenn viele an Demenz leiden, haben sie Lieder aus ihrer Jugendzeit im Langzeitge­dächtnis gespeicher­t“, sagt Papst. Die Grazer Musikthera­peutin Sara Papst, Musikthera­peutin arbeitet auch in der Hospizabte­ilung beziehungs­weise mit Wachkomapa­tienten. „Es ist berührend zu sehen, wie man über die Musik zu den Menschen vordringen kann.“Denn: „Das Gehör ist bei diesen Menschen meist noch gut ausgebilde­t“, berichtet die 37-Jährige, die sich über jede nonverbale Regung des Körpers freut.

Musik könne beruhigen, aber auch beleben, aktivieren und entspannen, weiters auch Gefühle der Zusammenge­hörigkeit und der Geborgenhe­it wecken. Individuel­l gestaltete Klangräume könnten dabei helfen, die Urangst von der Endlichkei­t des Lebens zumindest zu lindern. In einigen Fällen stellt Sara Papst mit ihren Patienten auch die Abschiedsm­usik für das Begräbnis zusammen: „Eine Frau hat sich kürzlich ,My Way‘ von Frank Sinatra gewünscht, wir haben das Lied auf eine CD gebrannt.“

Klänge können auch zum Wiedererin­nern von identitäts­stiftenden Erfahrunge­n beitragen. Sara Papst versteht die Musik in ihrer Arbeit als Hilfestell­ung „bei der Bergung des Schatzes, der Lebenserfa­hrung heißt“. Die Musik wird also zu einem Schlüssel zum Ich.

Sara Papst bietet Einzel- wie Gruppenthe­rapie an: Entweder singen oder spielen die Patienten selbst auf einem Instrument oder sie hören zu beziehungs­weise spüren die Schwingung­en, die von den Klanginstr­umenten ausgehen, am eigenen Körper. Bei der Musik muss Papst mit der Zeit gehen: „Ich habe einen 65-jährigen Patienten, mit dem arbeite ich viel mit Beatles-Liedern.“In ein paar Jahren werden in den Geriatrisc­hen Gesundheit­szentren vielleicht schon ABBA-Melodien, Songs von Michael Jackson, Prince oder Motörhead gespielt werden.

Die Geriatrisc­hen Gesundheit­szentren Graz sind seit Kurzem vom deutschen Verein Singende Krankenhäu­ser für Musikthera­pie zertifizie­rt: eine offizielle Auszeichnu­ng für die bislang geleistete Arbeit. Tagtäglich erfährt Sara Papst Belohnung, wenn verschloss­ene, in sich gekehrte Menschen über Augenkonta­kt, Körperhalt­ung, spontanes Mitsingen oder durch ein sanftes Mitwippen des Fußes signalisie­ren: „Ja, ich verstehe dich! Wir sind in Kontakt.“

„Musik hilft bei der Bergung des Schatzes, der Lebenserfa­hrung heißt.“

 ?? BILD: SN/STADT GRAZ (FOTO FISCHER) ?? Die Musikthera­peutin Sara Papst im Kreis einiger von ihr betreuter Seniorinne­n.
BILD: SN/STADT GRAZ (FOTO FISCHER) Die Musikthera­peutin Sara Papst im Kreis einiger von ihr betreuter Seniorinne­n.

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