Es gibt keinen Grund aufzugeben
So erobern Athleten mit Behinderung die Sportwelt. Ihre Lebensgeschichte bewegt. Fünf Porträts von Sportlern mit außergewöhnlichen Schicksalen.
Sie sind die eigentlichen Sporthelden unserer Zeit. Nur Sporthelden? Mythos inklusive, aber auch manchmal, wie bei Oscar Pistorius, zum Scheitern verurteilt. Menschen, die mit einem Handicap in der Welt der „Nichtbehinderten“sich durchgesetzt haben, glänzen durch besondere Fähigkeiten: Ausdauer, Mut und Hingabe für ihren Sport. Die Trennung in Behindertenund Nichtbehindertensport hat in ihrer Karriere nie eine Bedeutung gehabt. Die SN haben fünf Schicksale von Sportlerinnen und Sportlern aufgegriffen, die als Beispiel, als Ansporn für den sportlichen Weg ganz nach oben dienen können.
Shaquem Griffin (23), American Football
Er war vor wenigen Wochen zum Auftakt der National Football League (NFL) Thema in vielen Gazetten und Interviewrunden: Der 23-Jährige ist aufgrund seiner Armbehinderung einer der schillerndsten Athleten der Szene. Wegen eines Geburtsschadens war ihm im Alter von vier Jahren die linke Hand amputiert worden – trotzdem hielt der Linebacker an seinem Traum vom Football-Profi fest. Er ist der erste dieser Art mit nur einem Arm. „Es gibt einfach kein besseres Gefühl“, schwärmte der Linebacker nach seinem Pflichtspiel-Debüt für die Seattle Seahawks. Diesen emotionalen Moment teilte Shaquem mit seiner Mutter und mit seinem Zwillingsbruder Shaquill, ebenfalls ein Football-Profi. „Dass das unsere Familie gemeinsam erleben kann, ist großartig“, so Shaquem. Basis dieses Erfolgs war ein Pakt unter Brüdern: Entweder schaffen es beide, oder keiner. Um mit dem „Football-Loaberl“richtig umgehen zu können, hat sich der farbige Spieler eine besondere Technik einfallen lassen. Und das höchste Lob kam gleich von Seattle-Headcoach Pete Carroll: „Er ist eine Waffe, weil er schnell ist und die Systeme schnell versteht.“
Oscar Pistorius (31), Leichtathletik
Weltweit bekannt wurde der Südafrikaner durch seinen Spitznamen. „Blade Runner“, oder „the fastest man on no legs“nannte die Sportwelt den Sprinter aus Sandton, der die Leichtathletik-Fachwelt mit seinen speziell angefertigten Unterschenkelprothesen aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff beeindruckte. Wegen einer Fehlbildung der Wadenbeine und weil ihm jeweils die äußere Seite der Füße fehlte, wurden ihm im Alter von elf Monaten beide Beine unterhalb der Knie amputiert. Seinen sportlichen Ambitionen sollte dieser Makel keinen Abbruch tun. Zunächst wollte Pistorius eigentlich Cricket, Rugby oder Tennis spielen. Aber eine Verletzung beim Rugby beendete jäh diese Karriere. Bevor er in die Behindertenklasse wechselte, verglich sich Pistorius 2005 mit Nichtbehinderten bei den offenen Leichtathletik-Meisterschaften in Südafrika und wurde über 400 Meter in 47,34 Sekunden Sechster. 2007 erklärte der Erfolgsverwöhnte, dass er bei den Spielen 2008 in Peking mit Nichtbehinderten antreten wolle; das wurde ihm am Ende wegen seiner – wie viele meinten – leistungssteigernden Prothesen untersagt. 2009 wollte der mittlerweile weltbekannte Sprinter an der WM in Berlin teilnehmen, schied jedoch bereits in der Qualifikation aus. Am Ende seiner sportlichen Karriere sollten sechs Paralympics-Goldmedaillen und ebenso viele WMTitel bei den Behinderten stehen. Das traurige Ende markierte eine Bluttat im eigenen Haus: Im Februar 2013 erschoss Pistorius seine Lebensgefährtin Reeva Steenkamp. Ein langer Gerichtsstreit sollte folgen. Die Verbüßung seiner Strafe endet im Jahr 2031.
Bethany Hamilton (28), Surfen
Das Schicksal schlug bei der Profisurferin aus Hawaii 2003 gnadenlos zu: In den Morgenstunden des 31. Oktober wurde sie am Tunnels Beach auf dem Surfbrett liegend von einem etwa drei Meter langen Tigerhai angegriffen. Der Hai trennte der damals 13Jährigen den linken Arm knapp unterhalb der Schulter ab, Kollegen konnten sie an den Strand retten. Der Karriere der KlasseSurferin tat dieser Vorfall keinen Abbruch. Bereits vier Wochen danach nahm die begeisterte Wellenreiterin das Training wieder auf. Um sich mit einem Arm auf dem Wasser zu bewegen, benutzte sie seitdem maßgeschneiderte Boards mit einem Haltegriff – nur wenige Monate nach der Hai-Attacke nahm sie wieder an Wettbewerben teil. Auch die Erfolge blieben nicht aus: Hamilton wurde 2005 Erste bei den Nationalen US-Meisterschaften bei den Frauen, seit 2008 surft sie wieder als Vollzeitprofi. Die gläubige Christin sollte später in dem Bestseller-Buch „Soul Surfer“große Erfolge feiern. Seit einigen Jahren ist Hamilton gern gesehener Gast bei beliebten Talk-Shows bei Superstar Oprah Winfrey oder „Good Morning America“. Seit fünf Jahren hat die bildhübsche Blondine eine eigene Familie: Sie heiratete im August 2013 Adam Dirks auf Hawaii, die Familie ist mittlerweile mit zwei Söhnen gewachsen.
Alex Zanardi (52), Motorsport
Der italienische Rennfahrer war ein Motorsport-Multitalent, ehe ihn ein schwerer Unfall vorübergehend stoppte. Zwischen 1991 und 1999 startete der Mann aus Bologna bei 41 Formel-1-Rennen, 1997 und 1998 errang er jeweils die Champ-Car-Meisterschaft – bei einem dieser Rennen sollte er 2001 auf dem Lausitzring verunglücken: Bei der Boxausfahrt geriet Zanardi auf den Grünstreifen und kollidierte mit einem weiteren Rennwagen, der gerade mit 320 km/h unterwegs war. Sein Wagen wurde in zwei Teile gerissen, Zanardi musste sieben Mal wiederbelebt werden und verlor beide Beine oberhalb des Knies. Das hielt ihn nicht davon ab, mit dem Motorsport mit umgebauten Boliden weiterzumachen und das schon ab 2005 in der Tourenwagen-WM. Bis heute sollte er dem Motorsport treu bleiben. Noch mehr. Zum Motorsport sind noch der Radsport und Triathlon-Starts dazugekommen.
Günther Matzinger (31), Leichtathletik
Auch ein Behindertensportler aus Österreich mischt die allgemeine Klasse auf: Leichtathlet Günther Matzinger durfte schon neben zwei Goldmedaillen bei den Paralympics in London 2012 und zwei WMGoldenen bei Weltmeisterschaften über drei österreichische Einzel-Staatsmeistertitel in der allgemeinen Klasse jubeln. Der Salzburger, der auch als Unternehmer eine Fitness-App erfunden hat, wurde mit einer Fehlbildung des rechten Unterarms geboren. Das hat ihn aber mithilfe einer speziellen Carbonprothese nicht von großartigen sportlichen Leistungen abgehalten.
Dass ich das erleben kann, ist großartig. Shaquem Griffin American Football BILD: SN/BRETT DAVIS-USA TODAY SPORTS