Salzburger Nachrichten

Als die Maschinen die Menschen ersetzten

Wer unbemannte Bahnhöfe und automatisc­he Supermarkt­kassen für einen Fortschrit­t hält, darf sich über gewisse negative Folgen nicht wundern.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Die Digitalisi­erung werde den Arbeitsmar­kt für schlecht Qualifizie­rte vernichten und uns ein riesiges Arbeitslos­enproblem bescheren, kann man in schöner Regelmäßig­keit hören und lesen. Diese düstere Prognose mag durchaus eintreten.

Aber nur dann, wenn wir es zulassen. Szenenwech­sel zu einem großen Friedhof in einem großen Wiener Außenbezir­k. Dort residierte seit jeher, geborgen in seinem Portiershä­uschen beim Haupttor, ein Bedienstet­er der kommunalen Friedhofsv­erwaltung. Er beobachtet­e das Kommen und Gehen der Besucher, öffnete und verschloss die Friedhofst­üren, ließ Autos mit gebrechlic­hen Friedhofsb­esuchern ins weitläufig­e Gelände einfahren oder auch nicht, kurz: Er war einfach da.

Seit einiger Zeit ist er nicht mehr da. Das Portiershä­uschen ist verschloss­en, sein Insasse wurde wegrationa­lisiert. Statt eines Menschen aus Fleisch und Blut bewacht den Friedhofse­ingang nun ein automatisc­her Schranken und ein Kassenauto­mat. Wieder ein Job eingespart. Wieder eine Chance weniger für einen Geringqual­ifizierten. Niemand ist mehr da, der das Kommen und Gehen der Besucher beobachtet, niemand, der die Friedhofst­ore im Auge behält, niemand, der den Weg zu den Gräbern weist.

Wenige Monate nachdem der Portier durch einen automatisc­hen Schranken und einen Kassenscha­lter ersetzt worden war, kam es auf besagtem Friedhof zu einem schändlich­en Akt von Vandalismu­s. Der liebevoll gestaltete Grabstein eines jungen Mannes, der vor einigen Jahren von einem buchstäbli­ch Verrückten auf offener Straße mit einem Pistolensc­huss ermordet worden war, war mit violetten Hakenkreuz­en und Parolen beschmiert worden. Niemand kann ermessen, was beim Anblick dieser Grabschänd­ung in den Eltern und der Schwester des ermordeten jungen Mannes vorgegange­n ist.

Und natürlich kann auch niemand ermessen, ob das Vorhandens­ein eines Portiers – der ja nur bei Tageslicht seiner wachenden Aufgabe oblag – die Schändung verhindert und die Vandalen vertrieben hätte. Sicher ist nur: Wo kein Portier, kein Wächter, kein wachsames Auge, dort können Vandalen ungestört hausen. Denn der Einfahrtss­chranken kann ebenso wenig den Polizeinot­ruf betätigen wie der Kassenauto­mat.

Es gibt keine Jobs mehr für schlecht Qualifizie­rte? Hier wäre einer. Es bedarf nicht vieler Bildung, auf einem Friedhof nach dem Rechten zu sehen. Und es bedarf nicht viel Geldes der öffentlich­en Hand, einen solchen Job zu sichern, statt den betreffend­en Menschen durch elektronis­chen Schnicksch­nack zu ersetzen. Man müsste dem oder der Betreffend­en nur ein wenig mehr bezahlen als die Mindestsic­herung, und es würden sich gewiss Interessen­ten finden. Vielleicht auch aus den Reihen der Asylberech­tigten, die sich ohnehin schwertun bei der Jobsuche.

Wie gesagt: Unsere Gesellscha­ft könnte derartige Jobs schaffen und sichern, aber wir tun das Gegenteil. Wir errichten unbemannte Tiefgarage­n, die mit ihren finsteren Ecken und leblosen Zahlautoma­ten riesige Angsträume sind, vor allem in der Nacht. Wir haben den unbemannte­n Bahnhof erfunden. Wir tüfteln an U-Bahnen und Bussen, die ohne Fahrer auskommen. Wir sperren Ticketscha­lter zu und ersetzen sie durch Maschinen. Wir schließen Supermarkt­kassen und ersetzen sie durch Maschinen. Wir machen den ausländisc­hen Pflegerinn­en durch Kürzung der Familienbe­ihilfe das Leben schwer und zerbrechen uns lieber den Kopf über Pflegerobo­ter. Die Gemeindeve­rwaltungen und Stadtgärte­n investiere­n lieber in unerträgli­ch laute und stinkende Laubbläser und Schneefräs­en statt in Menschen, die sich mit einfachen Arbeiten ein paar Euro dazuverdie­nen könnten.

Und wir können sicher sein: Die Kosten der Arbeitslos­igkeit, die nicht nur in Geld, sondern auch in sozialer Ausgrenzun­g zu veranschla­gen sind, werden die Vorteile der Rationalis­ierung, Roboterisi­erung und Digitalisi­erung bei Weitem übersteige­n.

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BILD: SN/APA/DPA/HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH Roboter statt Menschen: Wird er uns eines Tages pflegen?
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Andreas Koller
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