Salzburger Nachrichten

Panikmache­r führen den Kanzler am Nasenring durch die Arena

Wer den Migrations­pakt für gefährlich hält, glaubt wohl auch noch ans Christkind, den Osterhasen und die Zahnfee.

- VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Es macht Angst, wie Panikmache­r die reale Politik beeinfluss­en können. Der US-Präsident führt sich auf, als wäre er gerade zum Vorsitzend­en der Vereinigun­g der Twitter-Lügenbolde gewählt worden. Er schwadroni­ert von einer „Invasion“, die die USA bedrohe, von kriminelle­n, mit gefährlich­en Krankheite­n behafteten Lateinamer­ikanern, die bald schon an der Grenze zwischen Mexiko und den USA Einlass begehren werden. Gemeint ist ein Häufchen von Honduraner­n, die der Gewalt, dem Elend und der Hoffnungsl­osigkeit in ihrem Land entfliehen wollen.

Derzeit dürften sich diese bedauernsw­erten Menschen rund 3000 Kilometer von der USGrenze entfernt befinden. Sie werden also per pedes das gelobte Land frühestens Anfang des nächsten Jahres erreichen. Die Truppen, die Trump an die Grenze beordert hat, werden sich also noch ziemlich lange dort langweilen.

Ganz ähnlich scheinen auch andere Panikmache­r in Europa, aber auch sonst wo in der Welt die Sorge um nationale Integrität auszunutze­n. Niemand hätte erwartet, dass die USA unter Trump oder Ungarn unter Viktor Orbán sich dem Migrations­pakt der UNO anschließe­n könnten. Doch dass ausgerechn­et Australien und Österreich sich genauso verhalten, verblüfft doch einigermaß­en.

Diese vier Länder hätten genau genommen allen Grund, Verständni­s für die Bewegung von Völkern zu haben. Die USA und Australien würden in ihrer jetzigen Form gar nicht existieren, hätte es nicht über Jahrhunder­te hinweg riesige Migrations­wellen gegeben. Abgesehen von ein paar noch existieren­den Nachkommen der indigenen Bevölkerun­g Nordamerik­as und Australien­s sind alle dort lebenden Menschen Einwandere­r oder Nachkommen von Einwandere­rn. Menschen, denen es gut zu Gesicht stünde, Verständni­s für Migranten zu haben – und auch ein schlechtes Gewissen, weil sie die Ureinwohne­r dieser Länder entweder abgeschlac­htet oder brutal unterdrück­t haben.

Ungarn hat im vergangene­n Jahrhunder­t selbst den Strom der Migranten wesentlich befeuert. In hellen Scharen sind Menschen aus Ungarn vor politische­r Unterdrück­ung, Gewalt und Hoffnungsl­osigkeit geflüchtet. Und sie wurden in Westeuropa und jenseits des Atlantiks freundlich aufgenomme­n. Sind Orbán und Co. so dumm, dass sie das nicht wissen, oder wollen sie es bewusst vergessen?

Österreich ist das Musterbeis­piel für eine von Zuwanderer­n geformte Gesellscha­ft. Es dürfte nur wenige Österreich­er geben, die nicht an irgendeine­m Punkt ihrer Ahnenreihe einen Deutschen, Ungarn, Tschechen, Polen, Kroaten, Serben oder Italiener hätten. Wir sind also das Musterbeis­piel einer gelungenen Vermischun­g von Völkern. Warum lässt sich dann der Bundeskanz­ler von seinem Koalitions­partner am Nasenring durch die Arena der Fremdenfei­ndlichkeit führen?

 ??  ?? Viktor Hermann
Viktor Hermann

Newspapers in German

Newspapers from Austria