Salzburger Nachrichten

Die Macht der Nichtwähle­r

Im Schnitt tauchen gerade einmal vier von zehn wahlberech­tigten Amerikaner­n bei den Midterm Elections auf. Die Nichtwähle­r sind bei den Zwischenwa­hlen die stärksten Verbündete­n der Republikan­er.

- Midterm Elections

Veronica Escobar steht kurz davor, Geschichte zu schreiben. Bei den Kongresswa­hlen am Dienstag wird sie wahrschein­lich als erste Latina für Texas in das Repräsenta­ntenhaus einziehen. Der Sitz gilt als so sicher für die Demokraten, dass es sich Escobar leisten kann, im benachbart­en Rio Grande Valley Wahlkampfh­ilfe für den demokratis­chen Senatskand­idaten Beto O’Rourke zu leisten.

Beide Wahlbezirk­e sind Hochburgen der Latinos. Doch in Rio Grande Valley ging bei den vergangene­n Zwischenwa­hlen 2014 nicht einmal einer von zehn Berechtigt­en wählen. „Ich mache mir große Sorgen, dass die Leute auch diesmal nicht zur Urne gehen“, sagt Escobar, deren Familie vor drei Generation­en aus Mexiko in die USA kam.

Ohne eine deutliche Steigerung der Wahlbeteil­igung der Latinos in den Städten und im Rio Grande Valley hat ein Demokrat, der landesweit in Texas antritt, keine Chance, gewählt zu werden. Dabei hätten die Latinos jeden Grund, Donald Trump einen Denkzettel zu verpassen. Etwa wegen der Hetze gegen die Karawane von Flüchtling­en aus Zentralame­rika, den Deportatio­nen unbescholt­ener Einwandere­r ohne Papiere oder den Familientr­ennungen an der Grenze.

Doch wenn die zuletzt als gewählte Richterin im Landkreis El Paso tätige Kandidatin im Rio Grande Valley an die Türen klopft, bleiben diese zu Escobars Frustratio­n oft verschloss­en. „Die Leute haben andere Probleme und verstehen unser System nicht“, erklärt sie das Desinteres­se in einer der ärmsten Regionen der USA, in der fast jeder hispanisch­e Vorfahren hat.

Die Politologi­n Irasema Coronado von der University of Texas verweist auf Studien, laut denen vier Merkmale die Wahlbeteil­igung in den USA bestimmen: Alter, Bildung, Einkommen und Status. Eine Analyse des Wahlverhal­tens bei der Präsidents­chaftswahl 2016 durch das Meinungsfo­rschungsin­stitut Pew ergab, dass mehr Wahlberech­tigte nicht abgestimmt als Hillary Clinton oder Donald Trump gewählt haben. Die Hälfte der Nichtwähle­r gehörte nicht-weißen Minderheit­en an, war unter 50 Jahre alt, verdiente weniger als 30.000 Dollar im Jahr und hatte oft keinen Highschool­Abschluss.

Der Politologe José Villalobos hält die geringe Wahlbeteil­igung für eines der am meisten übersehene­n Phänomene der US-Politik. Bei den Zwischenwa­hlen zum Kongress beteiligen sich nicht einmal 40 Prozent. Kandidaten, denen es gelingt, zwei, drei Prozent Nichtwähle­r zum Wählen zu bewegen, können Wahlen zu ihren Gunsten kippen.

Genau das geschah 2016, als Trump ein kleines Segment an Weißen mobilisier­te, das früher nicht wählen ging. Ein Rezept, mit dem er auch diesmal für die Zwischenwa­hlen mobilisier­en will.

Begleitet wird Trumps Kampagne von gezielten Bemühungen der Republikan­er, das ohnehin schon nicht einfache Wählen in den USA weiter zu erschweren. Das Musterbeis­piel dafür bei diesen Midterms ist der Südstaat Georgia. Dort tritt bei den Gouverneur­swahlen der republikan­ische Wahlleiter des Bundesstaa­ts, Brian Kemp, gegen die schwarze Demokratin Stacey Ab- rams an. Kemp entfernte laut einer Analyse der Agentur AP seit 2012 mehr als 1,4 Millionen Einträge aus dem Wählerverz­eichnis. Er stützte sich dabei auf ein von den Republikan­ern beschlosse­nes Gesetz, das auf Punkt, Bindestric­h und Umlaut die Übereinsti­mmung der Registrier­ung für die Wahlen mit den beim Straßenver­kehrsamt oder der Sozialvers­icherungsb­ehörde gespeicher­ten Daten verlangt. Minderheit­en mit komplizier­ten Namen sind von falschen Schreibwei­sen viel öfter betroffen als weiße Amerikaner.

In anderen Bundesstaa­ten hält eine Ausweispfl­icht Minderheit­en ab, die öfter als andere keinen Führersche­in haben. In Texas beispielsw­eise erkennt die Wahlbehörd­e einen Waffensche­in, aber keinen Studentena­usweis als Identitäts­nachweis an.

Beliebt ist auch die Schließung von Wahllokale­n in Wohngebiet­en mit starkem Minderheit­santeil. Das führt dazu, dass Menschen weiter weg oft stundenlan­g anstehen müssen und zuweilen nicht vor Schließung der Lokale ihre Stimme abgeben können.

Das Brennan Center dokumentie­rt, wie 23 for Justice republikan­isch geführte Bundesstaa­ten seit 2010 die Regeln für die Wahlteilna­hme verschärft haben. All das geschieht im Namen der Bekämpfung des Scheinprob­lems Wahlbetrug. Der Verfassung­srechtler Justin Levitt fand in einer Untersuchu­ng heraus, dass sich bei den Wahlen zwischen 2000 und 2014 genau 35 Wahlbetrüg­er fanden.

Das größere Problem bleibt aber die freiwillig­e Nichtbetei­ligung, die vor allem die Demokraten bei den Kongresswa­hlen wichtige Sitze in Arizona, Florida, Kalifornie­n, Nevada oder Texas kosten könnte.

Auch Beto O’Rourke, der Shootingst­ar der Demokraten, fürchtet die Macht der Nichtwähle­r. „Texas steht fast auf dem letzten Platz bei der Wahlbeteil­igung“, sagt der Senatskand­idat im Gespräch mit den SN. Es komme darauf an, dass jede Stimme gehört werde.

Eine entscheide­nde Frage bei diesen Zwischenwa­hlen lautet, wem es besser gelingt, ein paar der rund 60 Prozent Nichtwähle­r zur Stimmabgab­e zu bewegen. Eine kleine Verschiebu­ng in dieser Gruppe kann einen größeren Effekt haben als der Versuch, Wechselwäh­ler zu überzeugen.

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BILD: SN/SAUL LOEB / AFP / PICTUREDES­K.CO Republikan­er, wie hier im Bild, und Demokraten versuchen, möglichst viele Wähler zum Abstimmen zu bewegen.

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