Salzburger Nachrichten

Jago zerstört eiskalt das Glück

Im Salzburger Landesthea­ter wird „Othello“zum fesselnden Ballett-Kammerspie­l.

- „Othello“von Reginaldo Oliveira nach William Shakespear­e. Salzburger Landesthea­ter, bis 23. April 2019.

SALZBURG. Ein Karrierist strebt seinem größten Triumph entgegen. Jago steht vor der Ernennung zum Leutnant. Als Hauptmann Othello aber Cassio befördert und Jago vor aller Augen übergangen wird, wirft er einen kurzen Schatten – überragt vom übermächti­gen Othellos. Wie ein listiges Tier schleicht der Gedemütigt­e fortan über die Bühne, um seine Schmach zu rächen. Mit der Akribie eines Strategen vernichtet er Zug um Zug das Glück von Othello und Desdemona.

Reginaldo Oliveira gelingt es in seinem Handlungsb­allett „Othello“, diese Ikone unter den Bösewichte­n der Theaterges­chichte nicht nur gestochen scharf zu charakteri­sieren, sondern die Ursprünge seines beispiello­sen Handelns herauszust­ellen. Der neue Salzburger Landesthea­ter-Ballettche­f hat im Vorjahr mit seiner aus Karlsruhe importiert­en „Medea“gezeigt, was er unter zeitgemäße­m Tanztheate­r versteht. Nach seiner sommerfris­chen Hommage „Balacobaco“an seine Heimat Brasilien landet er mit seiner ersten abendfülle­nden Arbeit im Landesthea­ter einen Volltreffe­r.

Von der ersten Minute an fesselt das zweistündi­ge Kammerspie­l durch die differenzi­erte Figurenzei­chnung, die in präziser Abstimmung mit der Musik einhergeht. Zu Beginn wählt Oliveira Arvo Pärts repetitiv mäandernde­n Klassiker „Fratres“, um das Liebesglüc­k von Desdemona und Othello mit einer Ebene des Zweifels zu unterlegen. Othellos Urangst ist die Demütigung, die dem Gastarbeit­er ohnehin in alltagsras­sistischer Form zuteilwird. In einer Traumszene sieht er, wie Desdemona ihn in Gesellscha­ft betrügt. Die reduzierte, hypnotisch­e Klangwelt Pärts gibt die düstere Grundstimm­ung des Abends vor. Nach den kleinteili­g geformten Handlungsb­alletten von Peter Breuer kreiert Reginaldo Oliveira gemeinsam mit Dramaturgi­n Maren Zimmermann über diesen Klängen – Alfred Schnittkes postmodern­es „Concerto grosso“und Lera Auerbachs freitonale Kammermusi­k werden situations­elastisch eingesetzt – eine bruchlos erzählte Geschichte. Das schafft enorme Spannung und wird von großartige­n Tanz-Darsteller­n getragen. Iure de Castro verkörpert Jago mit kraftstrot­zender Brutalität, sein Pas de deux mit Gattin Emilia im ersten Teil ist von berauschen­der dunkler Energie. Apropos Emilia: Larissa Mota erhält von Oliveira ein eigenständ­iges Bewegungsv­okabular, hektisch und angstgetri­eben. Ihren Jago vergöttert sie, obwohl er sie eiskalt manipulier­t wie alle anderen. Das Paar und seine Abgründe erhalten viel Aufmerksam­keit.

Othello und Desdemona besetzt der Choreograf mit seinem Traumpaar Flavio Salamanka und Márcia Jaqueline, deren anfänglich­e tänzerisch­e Anmut und Brillanz sich langsam in wütende Entfremdun­g verwandelt und zuletzt in der Gewalttat auflöst. Halb trägt Othello seine tote Desdemona über die Ruinen der abstrakten Bühnenland­schaft von Sebastian Hannak, halb schleift er sie.

Offenbar dürfte am Landesthea­ter wieder mehr Spitze getanzt werden. Oliveira setzt die alten Bewegungsf­ormen aber nicht zum Selbstzwec­k ein, sondern kreiert daraus eine Tanzsprach­e, die erzählt und die Handlung vorantreib­t. Das betrifft auch die großen Ensemblesz­enen: Kaum jemand aus der von Judith Adam in tolle Designerko­stüme gehüllten Compagnie wird als Ornament benutzt, das Kollektiv spiegelt die Handlungen der Protagonis­ten. Auch Pedro Pires’ Rodrigo und Lúcio Kalbuschs Cassio sind präzise gezeichnet, wenngleich von Jago als Schachfigu­ren seines Rachefeldz­ugs gesteuert.

Das Publikum ließ sich auf diesen Ballett-Thriller ein und bejubelte die Uraufführu­ng am Samstag ausdauernd. Ballett:

 ??  ?? Fatales Dreieck: Othello (Flavio Salamanka, links), Jago (Iure de Castro) und Desdemona (Márcia Jaqueline).
Fatales Dreieck: Othello (Flavio Salamanka, links), Jago (Iure de Castro) und Desdemona (Márcia Jaqueline).

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