Jago zerstört eiskalt das Glück
Im Salzburger Landestheater wird „Othello“zum fesselnden Ballett-Kammerspiel.
SALZBURG. Ein Karrierist strebt seinem größten Triumph entgegen. Jago steht vor der Ernennung zum Leutnant. Als Hauptmann Othello aber Cassio befördert und Jago vor aller Augen übergangen wird, wirft er einen kurzen Schatten – überragt vom übermächtigen Othellos. Wie ein listiges Tier schleicht der Gedemütigte fortan über die Bühne, um seine Schmach zu rächen. Mit der Akribie eines Strategen vernichtet er Zug um Zug das Glück von Othello und Desdemona.
Reginaldo Oliveira gelingt es in seinem Handlungsballett „Othello“, diese Ikone unter den Bösewichten der Theatergeschichte nicht nur gestochen scharf zu charakterisieren, sondern die Ursprünge seines beispiellosen Handelns herauszustellen. Der neue Salzburger Landestheater-Ballettchef hat im Vorjahr mit seiner aus Karlsruhe importierten „Medea“gezeigt, was er unter zeitgemäßem Tanztheater versteht. Nach seiner sommerfrischen Hommage „Balacobaco“an seine Heimat Brasilien landet er mit seiner ersten abendfüllenden Arbeit im Landestheater einen Volltreffer.
Von der ersten Minute an fesselt das zweistündige Kammerspiel durch die differenzierte Figurenzeichnung, die in präziser Abstimmung mit der Musik einhergeht. Zu Beginn wählt Oliveira Arvo Pärts repetitiv mäandernden Klassiker „Fratres“, um das Liebesglück von Desdemona und Othello mit einer Ebene des Zweifels zu unterlegen. Othellos Urangst ist die Demütigung, die dem Gastarbeiter ohnehin in alltagsrassistischer Form zuteilwird. In einer Traumszene sieht er, wie Desdemona ihn in Gesellschaft betrügt. Die reduzierte, hypnotische Klangwelt Pärts gibt die düstere Grundstimmung des Abends vor. Nach den kleinteilig geformten Handlungsballetten von Peter Breuer kreiert Reginaldo Oliveira gemeinsam mit Dramaturgin Maren Zimmermann über diesen Klängen – Alfred Schnittkes postmodernes „Concerto grosso“und Lera Auerbachs freitonale Kammermusik werden situationselastisch eingesetzt – eine bruchlos erzählte Geschichte. Das schafft enorme Spannung und wird von großartigen Tanz-Darstellern getragen. Iure de Castro verkörpert Jago mit kraftstrotzender Brutalität, sein Pas de deux mit Gattin Emilia im ersten Teil ist von berauschender dunkler Energie. Apropos Emilia: Larissa Mota erhält von Oliveira ein eigenständiges Bewegungsvokabular, hektisch und angstgetrieben. Ihren Jago vergöttert sie, obwohl er sie eiskalt manipuliert wie alle anderen. Das Paar und seine Abgründe erhalten viel Aufmerksamkeit.
Othello und Desdemona besetzt der Choreograf mit seinem Traumpaar Flavio Salamanka und Márcia Jaqueline, deren anfängliche tänzerische Anmut und Brillanz sich langsam in wütende Entfremdung verwandelt und zuletzt in der Gewalttat auflöst. Halb trägt Othello seine tote Desdemona über die Ruinen der abstrakten Bühnenlandschaft von Sebastian Hannak, halb schleift er sie.
Offenbar dürfte am Landestheater wieder mehr Spitze getanzt werden. Oliveira setzt die alten Bewegungsformen aber nicht zum Selbstzweck ein, sondern kreiert daraus eine Tanzsprache, die erzählt und die Handlung vorantreibt. Das betrifft auch die großen Ensembleszenen: Kaum jemand aus der von Judith Adam in tolle Designerkostüme gehüllten Compagnie wird als Ornament benutzt, das Kollektiv spiegelt die Handlungen der Protagonisten. Auch Pedro Pires’ Rodrigo und Lúcio Kalbuschs Cassio sind präzise gezeichnet, wenngleich von Jago als Schachfiguren seines Rachefeldzugs gesteuert.
Das Publikum ließ sich auf diesen Ballett-Thriller ein und bejubelte die Uraufführung am Samstag ausdauernd. Ballett: