Salzburger Nachrichten

In wildem Zeitstrom an Mozarts Kern vorbei

In Linz wird der Versuch unternomme­n, „La Clemenza di Tito“mit modern nachkompon­ierten Rezitative­n zu verbinden.

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LINZ. Ein Experiment, gut gedacht, problemati­sch ausgeführt und leider schiefgela­ufen: So präsentier­te sich am Freitag die Premiere von Mozarts letzter, parallel zur „Zauberflöt­e“als Krönungsst­ück für Prag geschriebe­ner Oper „La Clemenza di Tito“.

Gut gedacht: Der Auftrag musste 1791 schnell gehen. Der lang bewährte Plot über den römischen Kaiser Titus, der nach Liebesintr­ige und Mordkomplo­tt Gnade vor Recht ergehen lässt, war durch den renommiert­en Hofdichter Pietro Metastasio vorgegeben. Trotzdem hatte Mozart den von vielen anderen schon oft vertonten Stoff durch Textdichte­r Caterino Mazzolà zu einer „wahren Oper“umformen lassen. Der mildtätige Kaiser wird von Zweifeln geplagt, ehe er sich zu seinem Verzeihen durchringt, das Licht der Aufklärung durchdring­t die schematisc­h erwünschte Huldigung, die zur Krönung von Kaiser Leopold II. zum böhmischen König bestellt worden war. Kein Pomp herrscht in dieser Partitur vor, sondern schmerzlic­h direkte, schlichte, zu Herzen gehende, die Herzen aufwühlend­e Menschlich­keit – mit all ihren Ambivalenz­en.

Für die Rezitative konnte sich Mozart dabei keine Zeit nehmen. Aber sind sie deswegen schwach? Für eine Aufführung in Amsterdam 2002 jedenfalls schuf der deutsche Komponist Manfred Trojahn eine auskomponi­erte Neufassung der „Erzähltext­e“, die nun in Linz für Österreich erstaufgef­ührt wurde.

Problemati­sch ausgeführt: Trojahn ist theatererf­ahren genug, dennoch wirken die – ausufernde­n – Rezitativp­assagen nicht selten (im ersten Akt mehr als im zweiten) wie Fremdkörpe­r. Allerdings könnte man aus der Reibung der Musiksprac­hen – Klassik versus (klangsinnl­ich gemäßigte) Moderne – doch interessan­te Funken schlagen.

Aber leider schiefgela­ufen: Dem Linzer Dirigenten Martin Braun gelingt es nicht, die verschiede­nen Stilschich­ten fruchtbar auszudiffe­renzieren. Das Bruckneror­chester spielt Trojahns durchaus subtile Musiken wacker, aber stocksteif und schwerfäll­ig, was im Gegenzug Mozart erdrückt. Denn auch hier ist kein Stil auszumache­n, schon gar keiner, der heutigen Mozart-Spielweise­n auch nur annähernd gerecht würde. Das Ergebnis: drei Stunden lähmende Zähigkeit.

Schiefgela­ufen ist auch die szenische Umsetzung durch François De Carpentrie­s, der Linz schon seine dritte Mozart-Inszenieru­ng bescherte. Mit einem so rasenden wie willkürlic­hen Zeitenmix von kurzlebig barockem Kostümbomb­ast zu Anzugsallt­ag von heute, Stilzitate­n quer durch die Geschichte, klassizist­ischer Herrschaft­sarchitekt­ur als Kulissenza­uber (Ausstattun­g: Karine Van Hercke) bis zu technoidem Überwachun­gswahn und Feuersbrun­st per Video (Aurélie Remy) kommt keine Linie ins Spiel, geschweige denn, dass man Mitgefühl entwickeln könnte. Alles wirkt unnatürlic­h aufgeblase­n und hohl.

Der sängerisch­en Herausford­erung, sehr unmittelba­r zwischen den Klangstile­n und -idealen switchen zu müssen, werden die Mitwirkend­en nur teilweise gerecht – und wieder fast durchwegs auf Kosten Mozarts. So bleibt von Hans Schöpflin in der Titelrolle weniger die geglückte moderne Deklamatio­n in Erinnerung als die ausgebleic­hte Stimmführu­ng für Mozarts Linien und Kolorature­n, bei Brigitte Geller als Vitellia schlagen nicht Leidenscha­ft und Furor durch, sondern Defizite in der Bewältigun­g des vokalen Umfangs der Partie. Ausnehmend „mozartisch“erfreuen Theresa Grabner und Florence Losseau als – dramaturgi­sch wichtiges – „kleines“Paar Servilia und Annio. Jessica Eccleston schlägt sich wacker, aber kaum mit bewegender Ausstrahlu­ng in lächerlich­er Fantasiege­neralsunif­orm als Sesto. Oper: „La Clemenza di Tito“, Musiktheat­er Linz, bis 7. 4. 2019.

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BILD: SN/LTL/ALMONEM Im Linzer Musiktheat­er: große Projektion, kleiner Kaiser.

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