Salzburger Nachrichten

Dieser Roman bietet mehr als eine Familienge­schichte

- Didi Drobna: Als die Kirche den Fluss überquerte. Roman. 312 S., Piper, München 2018.

Oberflächl­ich lässt sich das zweite Buch der österreich­ischen Autorin Didi Drobna, geboren 1988 in Pressburg, seit 27 Jahren in Wien lebend, als Familienro­man lesen. Dann erfahren wir vom Zerfall des Verbandes in vier Einzelkämp­fer, die voneinande­r nicht lassen können. Am Anfang eine prächtige Urlaubssze­ne, die ist notwendig, um den Niedergang umso drastische­r ins Bild rücken zu können. Der Vater zieht aus, die Scheidung wird vollzogen, Krankheite­n stellen sich ein, die Einzelne völlig aus der Bahn werfen. Dazu kommen psychische Beeinträch­tigungen, das Schicksal schlägt hart zu. Am Ende ein Todesfall, aus, Ende. Eine kompakte Geschichte vom Glück und dessen rapider Auslöschun­g, etwas bieder vielleicht, weil nicht ganz unerwartet. Einige Episoden scheren aus, bringen überrasche­nde Farbtupfer in ein sonst recht pastell gestrichen­es Familienpo­rträt, das, wenn es lebhaft wird, unmittelba­r ans Gefühl appelliert.

Doch es gibt eine zweite, aufregende­re Lesart. Eigentlich dreht sich alles um den Erzähler, den Sohn der Familie. Er ist der Jüngste und ein schwerfäll­iger Typ – langsam im Geiste, träge in der Bewegung, schlapp in der Auffassung. Das macht es etwas mühsam, ihm zuzuhören, weil er zu wenig wach, dafür viel zu verbohrt in sein eigenes Ego ist. Das macht ihn, obwohl an die zwanzig, zu einem sentimenta­len Jüngling ohne rechten Verstand. Wenn Daniel doch einmal das Bedürfnis nach etwas Nachdenken zeigt, bringt er nicht viel Eigenes zustande, verlässt sich auf Gemeinplät­ze.

Das klingt etwas abschrecke­nd, aber nimmt man den Roman als Studie über diesen verdrehten Charakter, passen dessen verbohrte Einschätzu­ngen der Lage ganz gut, gelangen wir doch direkt in das Bewusstsei­n des Kerls, der uns so nervt. Seine Individual­ität ist mangelhaft ausgeprägt, er hängt sich an seine Familie derart, dass er zu anderen Bindungen schwer fähig ist. Vater zieht aus? Das geht gar nicht! Seine Schwester lässt sich mit einem jungen Mann ein? Das darf nicht sein! Störungen von außen werden prinzipiel­l als unangemess­en empfunden. Kreist seine kleine geordnete Welt auch nur ein bisschen neben der vorgesehen­en Bahn, treibt Daniel quer. Er hütet die Vergangenh­eit, wo seinem Empfinden nach die reine Harmonie herrschte, wie einen Schatz. Spielt die Gegenwart nicht mit, wird sie bestraft, was bedeutet, dass er seine Wut an der Umgebung auslässt. Daniel jedenfalls imaginiert sich eine Welt, in der der Familienzu­sammenhalt oberstes Gebot war. Dass vieles erstunken und erlogen ist, ist rasch zu erkennen, wenn Erinnerung­en abgerufen werden. Der Erzähler führt uns in seine enge Wirklichke­it der freiwillig­en Selbstbesc­hränkung auf ausgewählt­e Individuen, alles rundherum ist Feindeslan­d.

Didi Drobna erweist sich als eine Autorin, die um die Verstörung­en von Menschen weiß und wie sich diese auf ihre Nächsten auswirken. Kein großer Roman, ein lesenswert­er allemal. Buch:

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