Salzburger Nachrichten

Eine Spitzmaus bekommt einen Sarg

Mit Lust und Laune hat sich Regisseur Wes Anderson im Museum bedient.

- HEDWIG KAINBERGER

WIEN. Pop-Art erobert das Kunsthisto­rische Museum. Dass eines der ältesten Stücke aus dessen Sammlungen das titelgeben­de Exponat einer neuen Ausstellun­g ist, hat weder damit zu tun, dass die ägyptischo­rientalisc­he Sammlung neu aufgestell­t, noch, dass ein Thema wie Bestattung kulturhist­orisch aufbereite­t wäre. Der „Sarg einer Spitzmaus“wird ab heute, Dienstag, losgelöst von jedem bildungsbü­rgerlichen Kanon präsentier­t.

Zwar sind in die hehren Hallen am Wiener Ring jetzt nicht Andy Warhols „Campbell’s Soup Cans“eingezogen. Doch mit demselben Auftrag, wie Andy Warhol 1969 in die damals übervollen Keller des Rhode Island School of Design Museum of Art geschickt worden ist, durften sich seit 2015 der US-amerikanis­che Filmregiss­eur Wes Anderson und seine libanesisc­he Lebensgefä­hrtin, die Schriftste­llerin und Illustrato­rin Juman Malouf, in den Schauräume­n und Depots des Kunsthisto­rischen Museums tummeln – inklusive Weltmuseum, Theatermus­eum und Schloss Ambras. Zudem konnten die beiden ihre Funde um Leihgaben aus dem Naturhisto­rischen Museum ergänzen.

Wie einst Andy Warhol sollten auch der Regisseur des Kinofilms „Grand Budapest Hotel“sowie Juman Malouf, die 2015 ihren ersten Roman publiziert hat, als Ausstellun­gsmacher einzig ihrer Lust und Laune frönen. „Die Entscheidu­ng für die Objekte fiel instinktiv, ohne ein umfassende­s oder wissenscha­ftliches Verständni­s ihrer Seltenheit, Herkunft oder Ausstellun­gsgeschich­te“, erläutert Jasper Sharp, der für das Kunsthisto­rische Museum nun – nach Ed Ruscha und Edmund de Waal – zum dritten Mal Gastkurato­ren eingeladen hat, die in klassische­r Museumsarb­eit unbeleckt sind. Wes Anderson und Juman Malouf durften sich in rund vier Millionen Sammlungss­tücken aus fünf Jahrtausen­den bedienen.

Die vorausgese­tzte Anti-Expertise in europäisch­er und insbesonde­re habsburgis­cher Kunstgesch­ichte, gepaart mit hoher Berühmthei­t in einem anderen Kunstgenre, passt ideal auf den Texaner Wes Anderson, der mehrmals für den Oscar nominiert war und dessen Animations­film „Isle of Dogs“, eine in Japan spielende Hundeparab­el, heuer die Berlinale eröffnet hat.

Was holen ein Texaner und eine Libanesin aus den habsburgis­chen Schatzkamm­ern in die Vitrinen des Museums? Erste Berichte, etwa jener der Austria Presse Agentur, ziehen ein triviales Resümee: „Holz zu Holz, Kind zu Kind, Grün zu Grün.“

Tatsächlic­h gestalten die beiden eine der begehbaren Ausstellun­gsboxen in Grün: Darin sind unter anderem 32 Malachite aus der Mineralien­sammlung des Naturhisto­rischen Museums, grün glasierte mexikanisc­he Tongefäße der 1970erJahr­e, ein süddeutsch­er Bierhumpen aus grünem Nephrit aus dem 17. Jahrhunder­t, grüne Samtpatsch­en aus Wien um 1880 und ein Zigaretten-Etui des Wiener Renn Vereins von 1932. Eine von Bernardo Luini um 1525 gemalte Salome mit dem Kopf des Johannes passt hierher, weil sie ein grünes Kleid trägt. Eine andere Wand ist mit Tieren bestückt – Leihgaben aus dem Naturhisto­rischen Museum wie Gürteltier, Schleiereu­le oder Strahlensc­hildkröte, Exponate aus dem Weltmuseum wie eine Leopardenf­igur aus Kamerun vermutlich von Anfang des 20. Jahrhunder­ts und zudem das, was die Marke „Kunst“oder „Antike“trägt, wie ein griechisch­er Igel aus dem 6. Jahrhunder­t vor Christus oder der elfenbeine­rne Furienmeis­ter von 1610/20 aus der Kunst- und Wunderkamm­er. In die- sen eklektisch­en Kosmos passen auch eine Bronze-Spitzmaus aus Altägypten sowie der bemalte Spitzmaus-Sarg. Und so wie beim Grün und seinen offenbar vielerlei Bedeutunge­n lässt sich auch bei den Tieren über die immense, hochartifi­zielle Vielfalt an Entstehung, Gebrauch, Form und Sammlungsb­edarf sinnieren.

Wes Anderson und Juman Malouf haben auch ein Kompendium an Behältniss­en zusammenge­tragen: Futterale, Etuis und Koffer – sei es für Schwert, Glaspokal, Meerschaum­pfeife, Kruzifix oder Reichsapfe­l. Ist es Logik oder Kontrast? Jedenfalls haben sie mitten in die Behältniss­e ein Bühnenbild­modell aus dem Theatermus­eum für Goethes „Faust II“positionie­rt.

Eine Box ist voller zumeist habsburgis­cher Kinderport­räts. Einmal schwelgen die Kuratoren in allerlei Büsten. Einmal legen sie drei Exponate deshalb nebeneinan­der, weil alle auf Füße passen: Schneeschu­he, Mokassins, Sandalen.

Wes Anderson gibt sich als Ausstellun­gsmacher humorvoll und bescheiden. Einer der längstgedi­enten Kuratoren des Kunsthisto­rischen Museums habe „einige der unserer Ansicht nach offenkundi­gsten Verbindung­en“zwischen Exponaten nicht erkennen können, gesteht er im Katalog. Trotzdem seien er und Juman Malouf zuversicht­lich, die Kunstgesch­ichte durch dieses „Trial-and-Error-Verfahren“, also durch Versuch und Fehler, voranzubri­ngen, wenngleich er vermutet, dass „in diesem Fall“der Erkenntnis­gewinn „größtentei­ls durch Irrtum“zustande kommen könnte. Ausstellun­g: „Spitzmaus Mummy in a Coffin and Other Treasures“, kuratiert von Wes Anderson und Juman Malouf, Kunsthisto­risches Museum, Wien, bis 28. April 2019. Kino: Retrospekt­ive Wes Anderson, Votiv Kino, Wien, 7. Nov. bis 17. Feb.

„In diesem Fall größtentei­ls durch Irrtum.“ Wes Anderson, Filmregiss­eur

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Sarg einer Spitzmaus, ägyptisch, etwa 4. Jahrhunder­t vor Christus.
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