Salzburger Nachrichten

Ist die Moral in der Krise?

Müssen wir einen Pflegerobo­ter mit moralische­n Fähigkeite­n ausstatten? Hinken Ethik und Moral der rasanten technologi­schen Entwicklun­g immer hinterher? Warum wir nicht alles dürfen, was wir können.

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Krisen aller Art, gesellscha­ftliche oder auch existenzie­lle, gehören zum täglichen Geschäft von Ethik und Moraltheol­ogie. Früher haben wir uns gefragt, ob mit der Einführung der Straßenbel­euchtung die Schöpfungs­ordnung in Gefahr gerät, weil die Nacht zum Tag wird. Heute fragen wir uns, ob wir einen Pflegerobo­ter mit moralische­n Fähigkeite­n ausstatten sollen und welche Verantwort­ung jeder Einzelne und die Gesellscha­ft insgesamt etwa für den Klimawande­l und seine Folgen hat.

Beschleuni­gung und Globalisie­rung lassen auch Fragen der Moral immer schneller auf uns einprassel­n. Der Stand der Entwicklun­g kann sich täglich ändern und die Konsequenz­en unseres Handelns sind oft nicht vorhersehb­ar. Da wird einem leicht schwindlig und die Klage über moralische­n Werteverfa­ll und eine „Krise der Moral“ist schnell bei der Hand. Außerdem ist in einem säkularen Zeitalter die Selbstvers­tändlichke­it eines gemeinsame­n christlich­en Ethos verloren gegangen. Das heißt aber überhaupt nicht, dass wir damit moralisch sozusagen am Ende wären, im Gegenteil: Vermutlich wurde nie zuvor so viel über ethische Leitlinien debattiert, wie das heute in Ethikkommi­ssionen u. Ä. geschieht.

Richtig ist der Eindruck, dass die Moral der jeweiligen Entwicklun­g meist hinterherh­inkt. Aber ich halte es da mit Karl Rahner, für den der Mensch ein Wesen ist, das stets über die eigenen Grenzen hinauswill. Selbstvers­tändlich bringt das Chancen und Risiken mit sich. Was wären wir ohne die Errungensc­haften der Medizin? Dass wir aber nicht alles tun sollten, was wir technisch können, ist spätestens seit der Entwicklun­g der Atombombe klar. Gerade im Bereich der Forschung am menschlich­en Genom oder bei der künstliche­n Befruchtun­g (IVF) gibt es aber kein „Weiß“oder „Schwarz“. Meistens bewegt sich die theologisc­he Ethik in allen Schattieru­ngen dazwischen.

Heute gelten auch in der Moraltheol­ogie die Menschenre­chte als Grundlage. Diese sind theologisc­h in der Gottebenbi­ldlichkeit des Menschen begründet. Wir können aber den Inhalt einzelner Normen nicht mit dem Willen des Schöpfergo­ttes begründen. Denn genau daraus sind in der Geschichte der Religionen extreme Widersprüc­he entstanden, was „mein“ Gott und was „dein“Gott verlangt – mit all den verheerend­en Folgen wie Religionsk­riegen, Terror und Gewalt gegen Andersgläu­bige.

Die Berufung auf den Willen Gottes hat sich daher aus der theologisc­hen Ethik verabschie­det. Heute versuchen wir, Normen auf dem Weg der Vernunft zu begründen. Eine andere Sache ist aber die Motivation, dann auch nach diesen Normen zu leben. Hier kommt der Glaube an Gott tatsächlic­h ins Spiel. Christen haben keine exklusive Sondermora­l. Aber sie versuchen, idealerwei­se nach dem zu leben, was sie als gut und richtig erkannt haben. Ihr Glaube hilft ihnen dabei.

Ein moralische­r Mensch versucht, seiner Verantwort­ung gegenüber seiner Mitwelt und sich selbst gerecht zu werden. Er wird sich fragen müssen, ob die Prinzipien seines Handelns allgemeine­s Gesetz werden können, wie es Immanuel Kant formuliert hat: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeine­s Gesetz werde.“Und er wird sich fragen müssen, mit Martha Nussbaum gesprochen, ob er mit seinem Handeln zu mehr Gerechtigk­eit und zu einem guten Leben für alle beiträgt.

Nicht erst seit den jüngsten Missbrauch­sskandalen hat die katholisch­e Kirche hierzu- lande ihr scheinbare­s Monopol auf die Moral verloren. Diese Autoritäts­krise ist vielleicht sogar sinnvoll. Denn die christlich­e Botschaft ist kein Moralkodex. Jesus war kein Moralpredi­ger. Er war jemand, der Menschen berührt und geheilt hat. Diese seine Botschaft ist das Leitkriter­ium der Moraltheol­ogie.

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BILD: SN/EVA MARIA GRIESE Wie moralisch kann der Einzelne in einer globalen Welt handeln?
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Angelika Walser
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