Die Sehnsucht nach der Vergangenheit
Zwei Drittel der Europäer blicken nostalgisch zurück. Aber war früher wirklich alles immer so viel besser?
In einer am Montag von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten Umfrage vertraten 67 Prozent der Befragten die Auffassung, die Welt sei früher besser gewesen. Für die Studie wurden im Juni in der EU fast 11.000 Menschen befragt. Die Umfrage ist laut der Stiftung repräsentativ für die EU und die fünf größten Mitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Spanien. Jene, die nostalgisch sind, verorten sich laut der Studie eher am rechten und konservativen Ende des politischen Spektrums. Sie sind nicht unbedingt euroskeptisch, allerdings zeichnet sie eine skeptische Sicht auf Einwanderung und Migration sowie die Sorge vor Terrorismus aus.
Aber war früher wirklich alles besser? Hier ein paar Dinge, die in den vergangenen Jahrzehnten – zumindest teilweise – etwas besser geworden sind. Lebenserwartung: Weltweit stieg die Lebenserwartung nach Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO stark an. Seit dem Jahr 2000 kletterte sie um fünf auf 71,4 Jahre. Allerdings gibt es große regionale Unterschiede: Während neugeborene Kinder in 29 wohlhabenden Ländern eine Lebenserwartung von durchschnittlich 80 Jahren haben, beträgt die Lebenserwartung in 22 Ländern südlich der Sahara weniger als 60 Jahre. Österreich liegt bei der Lebenserwartung mit 81,8 Jahren übrigens auf Platz acht unter den 28 EU-Staaten. Armut: Zwar leben weniger Menschen in extremer Armut, jedoch leiden 821 Millionen Menschen weiter Hunger. Das teilte die Austrian Development Agency (ADA) im Oktober zum Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut mit. Die ADA verwies auf einen deutlichen Rückgang jener, die weltweit mit weniger als 1,90 US-Dollar (1,64 Euro) pro Tag auskommen müssen: Waren es 1990 noch knapp 36 Prozent der Weltbevölkerung oder 1,85 Milliarden Menschen, wurde vor drei Jahren ein historischer Tiefpunkt der globalen Armutsrate mit 736 Millionen Menschen verzeichnet – das sind zehn Prozent der Weltbevölkerung. Vorläufige Prognosen der Weltbank deuteten darauf hin, dass diese heuer auf bis zu 8,6 Prozent sinken könnte. Aber: Durch die Zunahme bewaffneter Konflikte, Dürren und Naturkatastrophen im Zusammenhang mit dem Klimawandel steige vor allem in Afrika die Armut in ihrer schlimmsten Form. Qualität der Lebensmittel: Wenn wir wollten, könnten wir – zumindest in der westlichen Welt – so gut essen wie noch nie zuvor. Denn die Qualität der Lebensmittel hat zugenommen. „Bis in die 1970er-Jahre“, so erinnert sich der Innviertler Koch Bernhard Gössnitzer, „wurden in den Küchen Lebensmittel angeliefert, die heute kein Koch mehr annehmen würde.“Von heutigen hygienischen Standards oder gar unangemeldeten Lebensmittelkontrollen sei man damals Lichtjahre entfernt gewesen. „Dass es heute Lebensmittelskandale gibt, heißt nicht, dass es früher besser war: Es wurde eben nicht effizient kontrolliert.“Schade sei nur, dass von den verbesserten Rahmenbedingungen heute in erster Linie die Convenience-Industrie profitiere. Frauenrechte: Heute ist es für Frauen selbstverständlich, zu arbeiten oder ein eigenes Konto zu haben. Doch der Grundstein wurde in Österreich erst im Jahr 1975 gelegt, mit der Reform des Ehe- und Familienrechts, das in Teilen noch aus dem Jahr 1811 stammte. Damit wurde die rechtliche Grundlage für eine gleichberechtigte Partnerschaft in der Familie geschaffen. Der Ehemann ist nicht länger das Familienoberhaupt und kann seiner Frau nicht mehr verbieten, berufstätig zu sein. Väter und Mütter haben seither ihren Kindern gegenüber gleiche Rechte und Pflichten. Aber auch bei der Gleichberechtigung gibt es noch viel zu tun.