Kleines Haus, große Wirkung
100 Jahre Republikswerdung, komprimiert auf 800 Quadratmetern: Das „Haus der Geschichte Österreich“öffnet am Samstag seine Pforten. Was es kann – und was fehlt.
„Gibt nicht die eine richtige Auffassung.“ Monika Sommer, Direktorin „Etappensieg in einer langen Geschichte.“ Johanna Rachinger, Generaldirektorin „Jugend fehlt Wissen um die Geschichte.“ Oliver Rathkolb, Historiker
WIEN.
Es sind die Kontraste, die gewollten Brüche und Spannungen, die das neu gegründete Haus der Geschichte Österreich prägen. Da thront ein Chanukkaleuchter unmittelbar neben Karteikarten, auf denen die Biografien von NS-Verbrechern österreichischer Provenienz vermerkt sind. Da sind Fotos mit drangsalierten Juden unmittelbar neben Jubeldokumenten von der Staatsvertragsunterzeichnung platziert. Da läuft ein Video des „Herrn Karl“neben Plakaten und Objekten, die das Wirtschaftswunder und die österreichischen Sporterfolge der Nachkriegszeit preisen. Da ist der Aufbruch nach Europa dargestellt, und gleich daneben steht eine jener aus Flughafenterminals bekannten Schleusen, die die Menschheit in „EU-Citizens“und „Others“scheidet.
Dazwischen Unvermeidliches wie Alfred Hrdlickas WaldheimPferd, Unerwartetes wie ein Fünfzigerjahre-Sesselliftsessel und Unverhofftes wie ein Kalendereintrag Sigmund Freuds aus dem November 1918.
Der größte dieser gewollten Kontraste ist das Museum selbst: 100 Jahre Republiksgeschichte werden ausgerechnet in der kaiserlichen Neuen Burg dargeboten, einem in den letzten Lebensjahrzehnten der wankenden Monarchie errichteten Repräsentationsbau, der in den „Anschluss“-Tagen zum Zentrum des „Führer“-Kults wurde. Die Museumsgestalter wussten all diese Kontraste klug in Szene zu setzen.
Fehlt diesem Museum irgendetwas? Ja. Und zwar in erster Linie: Raum. Das Haus der Geschichte muss sich mit schlanken 800 Quadratmetern bescheiden, die freilich effizient genutzt werden. Dennoch hat sich diese Schau auf Österreichs bewegtestes Jahrhundert mehr Platz verdient.
Und mehr Geld, das Museumsdirektorin Monika Sommer wohl nutzen würde, auch den berühmten „Führerbalkon“, von dem Hitler den „Eintritt“seiner „Heimat ins Deutsche Reich“verkündete, ins Museum einzubeziehen. Derzeit kann man den Balkon, der eigentlich ein Altan ist, nur von innen betrachten, wo eine berührende Erinnerungsstätte für Alma Rose aufgebaut ist. Diese war Musikerin, wurde ins KZ Auschwitz-Birkenau verschleppt, rettete dort als Leiterin des Frauenorchesters jüdischen Musikerinnen das Leben und fiel 1944 Hitlers Rassenwahn zum Opfer.
Dass dieses Museum nicht sehr groß ist, dass es nicht sehr viel Geld hat und dass es eines 20-jährigen Ringens bedurfte, um es zu realisieren, ist der Parteipolitik geschuldet. Die einstigen Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP waren jahrelang nicht willens oder in der Lage, ihre Auffassungen zur Zeitgeschichte in Einklang zu bringen, was aber, wie Museumsdirektorin Sommer am Mittwoch bei einer Pressekonferenz betonte, auch gar nicht nötig ist: Die Zeit, da man geglaubt habe, es gebe nur eine einzige richtige geschichtliche Auffassung, sei längst vorbei, sagte sie. Ihr Haus werde als Diskussionsforum geführt werden – mit einer regelmäßigen Gesprächsreihe namens „Nachgefragt“, mit einer Webplattform, mit Anschauungsmaterial zum Mitnehmen und Downloaden. Zu diesem Anschauungsmaterial zählt auch ein Würfelspiel, das – hier bewies das Museumsteam Selbstironie – die wechselvolle Debatte um das Haus der Geschichte nachstellt.
Auch gestern lastete der Schatten der Parteipolitik über der Pressekonferenz, bei der sich das neue Museum der medialen Öffentlichkeit vorstellte. Der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats, Oliver Rathkolb, äußerte sich verärgert über Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Kulturminister Gernot Blümel. Diese hatten kürzlich verkündet, das neue Museum – es ist derzeit an die Nationalbibliothek angegliedert – ans Parlament andocken und umbenennen zu wollen, nämlich in „Haus der Republik“. Laut Rathkolb sei es aber nicht angebracht, die Bezeichnung „Republik“über die Jahre 1938 bis 1945 zu stülpen. Rathkolb unterstrich die Wichtigkeit des neuen Museums für die Jugend: Gerade dieser fehle „das zentrale Wissen über die jüngere Geschichte“.
Johanna Rachinger – als Chefin der Nationalbibliothek gewissermaßen Schirmherrin des Museums – nannte die Museumseröffnung einen „Etappensieg in der langen Geschichte der Diskussionen um die Errichtung des Hauses der Geschichte“. Der Museumsdirektorin Sommer sprach Rachinger „Respekt und Hochachtung“aus. Nicht ohne Grund: Sommer ist erst im Februar 2017 bestellt worden, sie hatte also, wie sie vorrechnete, nur rund 450 Arbeitstage Zeit, mit ihrem Team das Museum zu gestalten.