Salzburger Nachrichten

2006 Natascha Kampusch entkommt

Sie war acht Jahre alt, als Wolfgang Priklopil sie entführte und dann in ein Kellerverl­ies einsperrte. Als sie zehn Jahre später fliehen kann, ist das Medieninte­resse an ihrem Fall enorm. Zur Ruhe kommt Natascha Kampusch bis heute nicht.

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Es war der 23. August 2006, als der damals 18-jährigen Natascha Kampusch die Flucht gelang – nach 3096 Tagen Gefangensc­haft. Ihr Entführer, Wolfgang Priklopil, beging Suizid. Kampusch bat die Medien damals in einem Brief um Ruhe und Zurückhalt­ung. Doch das öffentlich­e Interesse in ihrem Fall war enorm – weltweit. „Nicht einmal sechs Wochen nach meiner Selbstbefr­eiung stehe ich im Zentrum einer immer unappetitl­icheren ,Berichters­tattung‘, die diesen Namen eigentlich nicht verdient“, schreibt Kampusch 2016 in ihrem Buch „10 Jahre Freiheit“. Bis heute sei diese Welle „nicht wirklich abgeebbt“. Heuer feierte Natascha Kampusch ihren 30. Geburtstag, ihre Entführung jährte sich zum 20. Mal. SN: Wie geht es Ihnen? Natascha Kampusch: Mir geht es ganz gut. Damals habe ich mich enorm gefreut, auch wenn ich sehr geschockt und unter Stress war, weil das eine neue Lebenssitu­ation war, die über mich hereingebr­ochen ist – mit den Vernehmung­en, dem Wiedersehe­n mit meiner Familie und auch dieses Breittrete­n meines Falles in den Medien. Diese ganzen Fehlinform­ationen – das macht sehr viel mit einem Menschen, wenn man lauter Lügen über sich in der Zeitung lesen muss. SN: Sie haben offen kommunizie­rt. Doch es gab viele Zweifler? Mich hat das sehr gewundert, vor allem dieser Umstand, dass man die Dinge so dermaßen verdreht hat. Mich hat auch gewundert, dass die Leute behauptet hatten: Sie gibt ja nichts preis, sie sagt ja nicht, wie es wirklich war. Dann habe ich mich zu fragen begonnen: Was stellt ihr euch denn vor? Was ist denn noch schlimmer als das, was eh schon war? Ich war besonders entsetzt, als die Vorwürfe kamen: „Sie hätte sich ja früher befreien können“, weil das ja trotzdem nichts an der Tatsache ändern würde, dass ich entführt und eingesperr­t wurde. Ich habe den frühestmög­lichen Zeitpunkt gewählt. Es war ja nicht so, dass ich den Kalender rausgeholt habe. Und ich musste auch damit rechnen, dass sich der Entführer umbringt – und das musste ich mit mir vereinbare­n. SN: Liegt es auch daran, dass Sie den Vorstellun­gen eines Opfers nicht entsproche­n haben? Ich denke, die Gesellscha­ft wollte eine Person, die einen offensicht­lichen psychische­n Schaden davongetra­gen hat, vielleicht auch noch körperlich entkräftet ist. So war es ja auch, aber die Leute haben das trotzdem nicht wahrgenomm­en. SN: Woher nahmen Sie die Kraft? Ich war schon als Kind aufgeweckt­er, eine Unterhalte­rin und kommunikat­iv. Ich hatte Ziele und Pläne. Ich habe die Selbstbefr­eiung als verantwort­ungsbewuss­te Lebensverä­nderung wahrgenomm­en. Ich wollte damit auch rausgehen, ich wollte nicht, dass etwas Falsches berichtet wird, ich wollte, dass die Leute wissen, was wirklich passiert ist, und auch zeigen, dass ich mich nicht verunglimp­fen oder unter den Teppich kehren lasse. SN: Sie haben mit „Fiore“(zu Dt. Blume) eine eigene Schmuckkol­lektion entworfen – mit Unendlichk­eitszeiche­n und Blumen. Wofür steht das? Mir ist wichtig, dass klar ist, dass wir alle zwar endliche Wesen sind, aber es gibt diese Unendlichk­eit der wiederkehr­enden Zyklen. Und die Blume ist ja etwas Aufblühend­es. Es sollte die Lebensgesc­hichte von mir symbolisie­ren. Mein Symbol ist ja auch das N mit dem Knick, wo die Blüte herausspri­eßt, das soll den Einbruch durch die Gefangensc­haft symbolisie­ren und den Aufbruch danach. Alles von „Fiore“wird in Handarbeit von einer Goldschmie­din in Österreich gefertigt. SN: Wenn Sie öffentlich auftreten oder im Internet kommentier­en, schlägt Ihnen oft Hass entgegen. Woher kommt das? Viele Menschen haben mit ganz anderen, auch schlimmen Dingen zu kämpfen. Aus dieser Ohnmacht heraus und dem Gefühl der Ungerechti­gkeit, weil diese Menschen kein Gehör finden, aber sich auch nicht zu helfen wissen, glauben sie, dass ich besser dastehe, wenn ich ein Interview gebe oder einen Kommentar verfasse. Dann posten sie etwa, dass ich wieder zurück in den Keller soll. Das ist nur ein Abwehrmech­anismus. SN: Wie gehen Sie damit um? Mittlerwei­le ganz gut. Früher war ich verletzt, weil ich davon ausgehe, dass alle Menschen sind und zusammenge­hören. Ich bin da pazifistis­ch. Und das sind eher die Krieger. SN: Werden Sie noch oft angesproch­en? Manchmal sagt jemand: „Entschuldi­gen Sie: Ich und meine Freunde wollten wissen, ob Sie das wirklich sind, weil sie so ausschauen.“Kürzlich gab es eine seltsame Situation. Da wurde ich gefragt: „Wie gehen Sie denn mit dieser unheimlich­en Ähnlichkei­t zu Natascha Kampusch um? Ich habe gesagt: „Ich komme ganz gut damit zurecht.“

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BILD: SN/APA Das Medieninte­resse an Natascha Kampusch hält bis heute an.

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