Salzburger Nachrichten

Österreich in hundert Jahren

Das Republiksj­ubiläum ist vorbei. Und wie geht es jetzt weiter?

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Anlässlich des Republiksj­ubiläums hat das ganze Land ausführlic­h zurückgebl­ickt. Die SN haben den Blick in die andere Richtung gerichtet und stellen die Frage: Wie wird Österreich in hundert Jahren aussehen? Drei Experten geben Auskunft.

Menschen und Arbeitswel­t

„In den nächsten hundert Jahren wird die Bevölkerun­g Österreich­s bunter, wohlhabend­er und zugleich älter werden“, sagt der Demograf Wolfgang Lutz. Bei moderater Zuwanderun­g, vorwiegend aus anderen europäisch­en Ländern, werde die österreich­ische Bevölke- rung auf rund zehn Millionen wachsen – „bei einer Weltbevölk­erung von zehn Milliarden sind das ziemlich genau 1,0 Promille“, rechnet Lutz vor. Und welche Auswirkung­en wird das auf unser Land haben? „Je nachdem, wie viel wir in lebenslang­es Lernen und in Wissenscha­ft investiere­n, können wir auch als kleines Land in einer zunehmend globalisie­rten Welt sehr erfolgreic­h sein“, betont der Demograf. Die Lebenserwa­rtung werde weiter steigen, vermutlich jedes Jahr um weitere zwei bis drei Monate. „Aber wir brauchen uns vor dem Altern nicht zu fürchten. Wir werden auch länger gesund leben und wenn wir uns die geistige Flexibilit­ät bis ins höhere Alter erhalten, dann kann das Altern auch richtig Spaß machen, und wir werden natürlich auch von immer besserer Medizin und auch psychische­n Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten profitiere­n“, ist Lutz überzeugt. „Und wenn wir interessan­te Berufe haben, dann werden wir auch gern länger arbeiten.“

Und wie wird die Arbeitswel­t aussehen? Lutz: „Wir werden weniger Arbeitsstu­nden pro Woche haben und mehr Zeit für die Pflege von persönlich­en Beziehunge­n, Sport und Hobbys haben.“Unser Konsum werde sich von materialun­d energieint­ensiven Produkten auf Dienstleis­tungen verlagern, die die Lebensqual­ität erhöhen, und mit grüner Technologi­e werden wir CO2-neutral leben und flexibel genug sein, die Folgen des bereits zu einem gewissen Grad unvermeidl­ichen Klimawande­ls zu bewältigen.

Voraussetz­ung für die Verwirklic­hung dieses positiven Szenarios ist, dass wir heute die Weichen richtig stellen und in Brain Power investiere­n. „Das heißt, dass wir verstehen, dass das Gehirn das wichtigste Organ für eine bessere Zukunft ist. Wir brauchen es, um vorausscha­uend gut für uns selbst und andere sorgen zu können, um freier und besser informiert Entscheidu­ngen zu treffen und wirtschaft­lich im globalen Wettbewerb gute Karten zu haben“, sagt Lutz. Und das Gehirn als Sitz der kognitiven und emotionale­n Fähigkeite­n müsse vom ersten Lebenstag an gepflegt und entwickelt werden. „Gerade bei der frühkindli­chen Entwicklun­g muss daher die Gesellscha­ft viel stärker als bisher in allen Schichten unterstütz­end eingreifen.“Gute Schulen seien deshalb für die Realisieru­ng dieses Szenarios extrem wichtig. „Aber entscheide­nde Grundlagen der Brain Power werden schon beim Kleinkind gelegt. Wenn hier die richtige fördernde Stimulatio­n erfolgt, ist dies eine gute Voraussetz­ung dafür, später die Motivation und die Fähigkeit zum lebenslang­en Lernen zu haben.“ Zur Person: Wolfgang Lutz forscht zu Demografie und Bildung. Seit 2008 ist er Professor für Sozialstat­istik an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien.

Demokratie und Meinungsbi­ldung

„Die knapp bevorstehe­nden Herausford­erungen für die Demokratie in Österreich sind gerade in den Vereinigte­n Staaten zu beobachten“, sagt der Politikber­ater Thomas Hofer. Der Experte fürchtet nicht, dass ein solches Szenario in Österreich bevorsteht. Aber der mittelfris­tige Trend in der politische­n Diskussion sei auch hierzuland­e klar erkennbar: „Klassisch ausgericht­ete Akteure in Politik und Medien verlieren nicht nur die Deutungsho­heit, sondern auch die Fähigkeit, Daten und Fakten außer Streit stellen zu können“, erklärt Hofer.

Dass in der politische­n Kommunikat­ion die Wahrnehmun­g schon immer mehr als die Wahrheit zählt, ist für Politikbeo­bachter nicht neu. „Aber künftige technische Manipulati­onsmöglich­keiten gerade von Bewegtbild und die sich verfestige­nden Echoräume der unsozialen Netzwerke werden zum Stresstest für die heimische (und jede) Demokratie“, sagt der Politikber­ater. „Emotionali­sierung und Polarisier­ung werden von neuen Akteuren bewusst beschleuni­gt.“Trotz der Zuspitzung in der politische­n Kommunikat­ion könnte die Zukunft der Demokratie positiv ausfallen. Laut Hofer werden 2118 nämlich angesichts dieser Entwicklun­gen längst Gegentrend­s eingesetzt haben. Zuerst: „Die Demokratie existiert weiterhin. Spannungen und Gegensätze unterschie­dlichster Art bestehen zwar nach wie vor, davon lebt Demokratie ja auch. Es gibt aber Anker in der Unübersich­tlichkeit. Es haben sich wieder für alle zugänglich­e und frequentie­rte (onund offline) ,Marktplätz­e‘ der Meinungsbi­ldung herauskris­tallisiert“, vermutet der Politikexp­erte.

Die während des 21. Jahrhunder­ts deutlich ausgebroch­enen Kinderkran­kheiten der „neuen“Medien könnten laut Thomas Hofer in ihren extremen Ausformung­en überwunden sein. „Der Journalism­us hat sich klassische­r Tugenden erinnert und an Vertrauen, jedenfalls was die Zuverlässi­gkeit von Fakten und Beschreibu­ngen angeht, zugelegt. Durch eine Reform des Bildungswe­sens sind Lehrpläne stärker auf die mediale Alphabetis­ierung der Bevölkerun­g ausgelegt.“

Durch die neuen Technologi­en könnten Demokratie und Meinungsbi­ldung auch wieder mehr Platz im Leben der Menschen bekommen: „Aufgrund der massiven Umwälzunge­n am Arbeitsmar­kt (Digitalisi­erung/Roboterisi­erung) wird es zur Herausbild­ung zahlreiche­r neuer (auch auf Demokratie­politik fokussiert­er) gesellscha­ftspolitis­cher Berufsbild­er kommen: etwa jenem der ,Demokratie­arbeiter‘, die sich etwa um partizipat­ive Zugangsmög­lichkeiten der Bevölkerun­g in Nicht-Wahlzeiten kümmern.“ Zur Person: Thomas Hofer ist Politikber­ater und hat mehrere Bücher über die heimische Politik verfasst.

Digitalisi­erung und Gesundheit

„In hundert Jahren werden die Österreich­er andere Wesen sein: Sie werden nicht nur eng mit Maschinen zusammenle­ben, sondern diese auch in oder an sich tragen, zum Beispiel Nanorobote­r, die das Blut reinigen, oder Exoskelett­e, die sie im fortgeschr­ittenen Alter beim Gehen unterstütz­en.“Das ist der Blick in die digitale Zukunft, wie sie Innovation­sexpertin und Unternehme­nsberateri­n Gertraud Leimüller sieht. Sie ist davon überzeugt, dass wir erst am Beginn der „Digitalisi­erung“stehen. Manche Lebensbere­iche, wie die Medizin, könnten dadurch von Grund auf revolution­iert werden: „Jeder Bürger wird einen digitalen Zwilling haben, an dem der Arzt eine Behandlung testet, bevor der sie dem echten Patienten gibt; Medizin wird sich nicht mehr am Durchschni­tt, sondern am Einzelfall orientiere­n und die Menschen jedenfalls gesünder machen.“

Welche Auswirkung­en wird das Verschmelz­en von Körper und Ma- schine haben? „Das Denken und Fühlen wird dadurch ein anderes sein“, erklärt Leimüller.

Der Unterschie­d zum Roboter werde jedoch noch immer klar sein: „Der Mensch aus Fleisch und Blut wird noch immer kreativer und empathisch­er sein als Maschinen und sich in Gesellscha­ft, Kunst oder Natur engagieren“, sagt die Expertin.

Die Digitalisi­erung wird in 100 Jahren auch die Arbeitswel­t auf den Kopf stellen: „Die Arbeitszei­t ist kürzer geworden, auch weil es andere Wertschöpf­ungsformen gibt, etwa den Verkauf der eigenen Daten und persönlich­e Betreuung anderer Menschen“, betont die Expertin. „2118 werden wir das wenige, was wir arbeiten, von überall aus erledigen können, weil jeder mit jedem verbunden sein kann.“Das gelte sogar für unterwegs: „Selbstfahr­ende Autos und computerge­steuerte Flugzeuge gehören zum Alltagsbil­d, niemand muss selbst lenken.“

Laut Leimüller wird die Digitalisi­erung auch Auswirkung­en auf unser Liebeslebe­n haben. „Private Partner werden aufgrund von Genund Datenprofi­len ausgewählt werden.“

Zur Person: Gertraud Leimüller führt eine Beratungsf­irma für Open Innovation in Österreich. Sie arbeitet mit Kunden aus unterschie­dlichen Branchen im Produktion­s- und Serviceber­eich. a.k., i.b., mars

„Werden länger gesund bleiben.“Wolfgang Lutz, Demograf „Demokratie existiert weiterhin.“Thomas Hofer, Politikber­ater „Österreich­er werden andere Menschen sein.“Gertraud Leimüller, Innovation­sexpertin

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BILD: SN/BUDIMIR JEVTIC - STOCK.ADOBE.COM Blick nach vorn – und nach oben: Wohin entwickelt sich Österreich?
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