Salzburger Nachrichten

Regierung marschiert mit Rechtsextr­emen

Vermummte Rechtsradi­kale, Militär und der Präsident: In Warschau haben Hunderttau­sende Polen den 100. Unabhängig­keitstag gefeiert.

- Umstritten­es Gedenken

Acht Jahre ist es her, dass am 11. November in Warschau rund 2000 Neofaschis­ten aufmarschi­erten, um an die Wiedererla­ngung der polnischen Unabhängig­keit nach dem Ersten Weltkrieg zu erinnern. Die Polizei musste die Rechten damals gegen Angriffe linksextre­mer Gegendemon­stranten schützen. Polnische Medien schrieben von einem Nazi-Spuk. Am vergangene­n Sonntag nun zogen mehr als 200.000 Menschen durch Warschau und knüpften dabei auch an die neofaschis­tischen Aufmärsche an, die seit 2010 Jahr für Jahr immer größere Massen angelockt haben.

Die Entwicklun­g ist beängstige­nd und zugleich symptomati­sch für den rasanten Aufschwung rechter Bewegungen im Osten Europas, aber nicht nur dort. Um die Relationen ins richtige Licht zu rücken, sei darauf hingewiese­n, dass am Sonntag keineswegs nur Neofaschis­ten und Hooligans durch Warschau zogen. Die Rechtsextr­emisten waren an diesem 100. Unabhängig­keitstag klar in der Minderheit. Die große Mehrheit der Demonstran­ten bildeten rechtskons­ervativ und patriotisc­h gesinnte Menschen, darunter viele Familien mit Kindern und Großeltern, die rot-weiße Nationalfl­aggen schwenkten und keine neofaschis­tischen Banner – die es auch gab.

Die Frage ist nur, ob es das besser macht, denn an der Spitze des Zuges marschiert­e die Spitze des Staates und zog in ihrem Gefolge die Neonazis hinter sich her. Ein deut- scher Schelm, der sich dabei an den gemeinsame­n Marsch von AfD, Pegida und Neonazis Anfang September in Chemnitz erinnert fühlte. In Polen wiederum regiert nun schon seit drei Jahren die rechtsnati­onale PiS-Partei von Jarosław Kaczyński, und der 69-Jährige hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er an die Ideologie der polnischen Rechten in der Zwischenkr­iegszeit anknüpft.

Kaczyńskis historisch­es Vorbild ist die Sanacja-Bewegung des Marschalls Józef Piłsudski, der in Warschau von 1926 bis zum Zweiten Weltkrieg als autoritäre­r Führer regierte und sich die Sanierung, vor allem aber die „moralische Heilung“des Staates auf die Fahnen geschriebe­n hatte. Kaczyński spricht ebenfalls gern von einem kranken Staat Polen, den es zu heilen gelte, unter anderem durch rechtsstaa­tlich höchst fragwürdig­e Justizrefo­rmen, die von der EU als Frontalang­riff auf die Gewaltente­ilung eingestuft werden. Die PiS ficht das allerdings nicht an. Sie wähnt sich mit ihrer parlamenta­rischen Mehrheit von zehn Stimmen in der Position, einen kaum näher zu definieren­den Volkswille­n zu exekutiere­n.

Kaczyńskis Bekenntnis zu faschistis­chen Traditione­n der Zwischenkr­iegszeit sollte alle Verfechter demokratis­cher Werte in Europa mindestens so sehr alarmieren wie Viktor Orbáns Schlagwort von der illiberale­n Demokratie. Der ungarische Ministerpr­äsident wiederum hat zuletzt den Schultersc­hluss mit Matteo Salvini geprobt, dem Chef der rechtspopu­listischen Lega in Italien. Man könnte an dieser Stelle auf die globale Dimension dieser Entwicklun­g hinweisen, auf die Erfolge von US-Präsident Donald Trump oder zuletzt des brasiliani­schen Rechtsauße­n Jair Bolsonaro. Die Demokraten in Europa sollten sich aber eher auf das konzentrie­ren, was sie beeinfluss­en können.

Kaczyński wurde 2011 ausgelacht, als er nach einer Wahlnieder­lage seiner PiS gegen die liberalkon­servative Bürgerplat­tform des heutigen EU-Ratspräsid­enten Donald Tusk erklärte, in Warschau werde es bald ein nationales Erwachen geben. Nur vier Jahre später triumphier­te die PiS an den Wahlurnen und leitete ihre rechte Revolution ein, die sie zwar nur noch selten so nennt. Dafür handeln Politiker wie Kaczyński, Orbán und Salvini.

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BILD: SN/AP Wer marschiert mit wem?
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