Kunst am Berg ist Verzicht
Wie erzählt man in Büchern und Filmen von den Bergen? Und was hat ein 50 Jahre junger Text von Reinhold Messner damit zu tun?
SALZBURG. In den Städten brennen Straßen. An steilen Felswänden glühen Fingerkuppen. Auf den Straßen wird im Sommer 1968 für eine neue Gesellschaft demonstriert, gegen erstarrte Strukturen und für individuelle Freiheit. Weit weg davon in den Dolomiten gelingen Reinhold Messner in diesem Sommer spektakuläre Kletterrouten. Allein. Im Yosemite Valley ruft Royal Robbins das „clean climbing“aus. Beide Bergsteiger widmen sich der Kunst des Verzichts. Auch auf den Bergen hat nämlich der technische Fortschritt die Macht übernommen, und die dadurch gelungenen Besteigungen werden medial als Eroberungen gepriesen. Doch es regt sich Widerstand. Praktiker und Philosoph ist dabei Reinhold Messner.
Als 23-Jähriger veröffentlichte er im Sommer vor 50 Jahren den Text „Mord am Unmöglichen“. Es ist ein Appell für den Verzicht auf technische Hilfsmittel beim Klettern.
„Zu verzichten ist bekanntlich schwerer als zu konsumieren“, schreibt Messner nun 50 Jahre später. Er hat den legendären Text noch einmal herausgegeben und 40 andere Kletterer zum Thema um Beiträge gebeten. Da geht es freilich auch um Fragen technischer Hilfsmittel und daraus folgend um die Frage, ob es so etwas wie eine richti- ge, korrekte Art des Kletterns gibt. Es geht aber um mehr.
Es existiert 50 Jahre später die Frage immer noch, wo die Grenze des Möglichen liegt. Sie existiert, aber nicht nur bei Fragen nach dem Kletterstil. Sie existiert auch für das Erzählen über Bergabenteuer.
Wenn das Höchste, Schnellste und Weiteste in allen Varianten erledigt ist, bleiben keine massentauglichen, offensichtlichen Superlative mehr. Dann geht es bergsteigerisch um diffizile Probleme, die dann aber nicht so massenhaft Aufmerksamkeit erregen wie etwa der erste Alleingang zum Everest.
Diese Schwierigkeit gilt auch beim Filmen. Das Erzählen über die Begegnung mit Bergen, wie sie etwa ab Mittwoch bei der 25. Ausgabe des Salzburger Bergfilmfestivals passiert, hat auch auf der Leinwand viele Facetten bekommen.
Das Genre Bergfilm war stets Moden und Ideologien unterworfen. Gleich nach seinem Auftauchen in den 1920er-Jahren wurde das Genre missbraucht von den Nazis. Heldentaten in steilen Wänden waren idealer Propagandastoff. In den Jahren danach änderte sich zwar die ideologische Haltung der Protagonisten, dennoch waren sie oft Teil staatlicher Interessen. Die Besteigung der höchsten Gipfels der Welt erfolgte zum größten Teil durch nationale Expeditionen von enormem Ausmaß. Die Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts brachten mit ihrem „chemischen, technologischen und mechanischen Fortschritt die Option, das ,Unmögliche‘ bergsteigerischer Herausforderungen zu eliminieren“, schreibt Messner.
Dieses „Unmöglich“beschreibt allerdings nicht ein „aussichtslos für alle Zeiten“. Es geht darum, dass jede Zeit ihr „Möglich“hat, aber immer der Mensch und seine Grenzen das Maß sein sollten. Ganz nach dem Ethos des österreichischen Kletterpioniers Paul Preuß: „Das Können sei des Dürfens Maß.“Dieses Können bezieht sich niemals auf den Einsatz der Technik, sondern auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten, die den Einzelnen zur Kunst am Berg befähigen.
Gleichzeitig mit dem Einzug neuer Technik beim Gipfelsturm wurde die Bergwelt der Alpen nach dem Zweiten Weltkrieg im Film als idyllische Kulisse von der beginnenden Tourismusindustrie missbraucht. Geschickt eingesetzt als MarketingSpielzeug wird das Genre seit den 1980er-Jahren. Vieles, was seither an Extremabenteuerfilmen produziert wird, dient aber immer öfter bloß als Reklame für Brausegetränke oder Outdoor-Outfits. Die Ästhetik von Musikvideos – schnell geschnitten, unterlegt mit fetzigem Sound und mehr auf optische Reize zielend als auf inhaltliche Tiefe – dient als Vorlage. So wie die Musikvideos an Bedeutung verloren, wurde auch das Extremfilm-Genre ausgereizt. Die Direttissima zu einer guten Geschichte führt längst auch im Film woanders hin als auf die höchsten Gipfel.
Jenseits des Höchsten und Schnellsten existiert immer auch die Lust am Außergewöhnlichen, das im Schatten liegt. „Es ist nicht mehr so wichtig, wo man klettert und was man klettert“, sagt Hansjörg Auer, einer der jüngeren Ausnahmekönner – was das Bergsteigen, aber auch was das Nachdenken und Schreiben darüber betrifft. Vielmehr rückt „das Wie“ins Zentrum. Es geht in jedem Fall immer weit hinauf, vor allem aber tief hinein in Seelenzustände. Etwa bei einem wie Andy Kirkpatrick, der innere Dämonen beim Weg durch steilste Wände zwar nicht besiegt, sich ihnen aber mutig stellt. Da müsse Angst sein, sagt er beim Gedanken an eine Felswand, und es müssten Zweifel aufkommen: „Ich sehe aber Möglichkeiten.“
Freilich werden die Grenzen des Machbaren auf Felsen und Eisfeldern immer noch ausgedehnt. Immer noch wird durch Routen gerannt, auf denen vor wenigen Jahrzehnten nicht einmal gegangen werden konnte. Hansjörg Auer konstatiert dabei – vor allem dort, wo Klettern als bloß sportliche Höchstleistung verstanden wird – eine Geschichtsvergessenheit. „… Um eine gewisse Bergkultur aufrechtzuerhalten, wäre es schon wichtig, sie überhaupt zu kennen und ihr, wenn möglich, auch zu folgen.“Zu wenig werde über Stilfragen nachgedacht. „Man nagelt viel zu viel und klettert viel zu wenig“, schrieb Messner vor 50 Jahren. Die Kunst der Besteigung – egal ob im Alpinstil oder etwa im Freiklettern auf den steilen Wänden – ist frei wählbar.
„Die Kunst der natürlichen Linie braucht Kreativität, Erfahrung, Einsicht und Purismus“, sagt Auer. Verzicht also. Reduktion aller Mittel, damit das Spannungsverhältnis Menschnatur und Bergnatur auf-
„Wir klettern viel zu wenig.“
recht bleiben kann. Wenn es verloren geht, werden auch die Erzählungen und Filme von den Abenteuern weniger wert, weil dann nur mehr von technischer Machbarkeit und nur mehr wenig von seelischen Zuständen erzählt werden kann. Dann besiegt die bloße Action die Kunst, in die Tiefe zu blicken.