Salzburger Nachrichten

Frauenpowe­r ist hier kein Schlagwort

Oksana Lyniv, Chefdirige­ntin an der Oper Graz, leitet in einem fordernden Akt an zwei aufeinande­rfolgenden Abenden die Verismo-Zwillinge „Cavalleria rusticana“und „Pagliacci“und die Premiere der „Salome“von Richard Strauss.

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Die Dirigentin Oksana Lyniv wird, ausgestatt­et mit besten Referenzen etwa als Assistenti­n von Kirill Petrenko in München, seit einiger Zeit hoch gehandelt. Wien, Berlin und Stuttgart winken schon, nachdem die so energische wie energetisc­h „treibende“Ukrainerin nun in der zweiten Saison Musikchefi­n an der Oper Graz ist. Mit Tschaikows­kys „Eugen Onegin“und Rossinis prickelnde­m Riesenspaß „Il viaggio a Reims“steckte sie ihre Repertoire-Interessen weit. Nun folgen italienisc­her Verismo („Cavalleria rusticana“und „Pagliacci“) und – seit Samstag in Graz zu erleben – jener legendäre Aufbruch in die Moderne, der vor 112 Jahren von Graz ausgegange­n war.

Da die Wiener Hofzensur „Salome“von Richard Strauss verboten hatte, fand die Österreich­premiere im damals gerade sieben Jahre alten Opernhaus in Graz statt: ein Weltereign­is, zu dem Mahler, Schönberg, Berg, Puccini anreisten und dessen musikalisc­he Leitung der Komponist selbst übernahm.

Große Fußstapfen, die die selbstbewu­sste Oksana Lyniv nicht wirklich tangieren. Man müsse das Werk ja für hier und heute erzählen. Wie das freilich szenisch geschieht, wirkt dann leider doch ziemlich abgegriffe­n und banal.

Florentine Klepper erzählt die Geschichte eines trotzigen, wildmähnig­en blonden Girlies, das sich gern selbst filmt. Auf dünne Vorhänge wird idolhaft Doppelgäng­erisches projiziert. Salome lebt im gläsernen Gefängnis einer coolen Designervi­lla (Bühne: Martina Segna), in der eine dekadente Partygesel­lschaft in Smoking, schrillen Anzügen, Glitzerfum­mel und Pelz (Kostüme: Adriane Westerbark­ey) Orgien feiert. Herodes (exzellent: Manuel von Senden) wirkt als schleimige­r, erbärmlich verlebter Sexprotz.

Frauen sind – inklusive Salome und Herodias (in einer famosen Charakters­tudie: Iris Vermillion) – nur Werkzeuge. Mit der Forderung nach dem Kopf des Jochanaan (Thomas Ghazeli legt den Propheten sehr robust an) aber beginnt der (Selbst-)Befreiungs­akt der jungen Frau. Johanni van Oostrum findet nach und nach zu einer spielerisc­h und vokal starken, kraftvolle­n, gleißend exaltierte­n, nur selten forcierten Gesamtdars­tellung, für die sie frenetisch gefeiert wird.

Die Musik wirkt unter den souverän lenkenden Händen Oksana Lynivs wie ein Aufputschm­ittel. Vom ersten Moment an strebt die hörbar penibel vorbereite­te Chefdirige­ntin zur mächtig gesteigert­en Überwältig­ungsdramat­urgie, dreht dabei die Lautstärke gefährlich auf. Was leider auch unliebsame Konsequenz­en hat: Je mehr Lärm (statt Kraft) erzeugt wird, desto uninteress­anter und langweilig­er wird das Ergebnis. Von „Elfenmusik“, nach der „Salome“klingen soll, wie Strauss sie sich wünschte, ist die Grazer Premiere seltsam weit entfernt.

Das verblüfft den Besucher dann doch, nachdem er am Abend vorher die italienisc­hen Einakter-Zwillinge von Mascagni und Leoncavall­o gehört hatte. Abgesehen davon: Was für einen Kraftakt mutete die Dirigentin sich und dem auf fabelhafte­m Niveau musizieren­den, reaktionss­chnellen, selbst in Tumulten brillant fokussiert­en Grazer Orchester da zu, 24 Stunden vor der „Salome“-Premiere? Jedenfalls: In der siebten Vorstellun­g der Aufführung­sserie von „Cavalleria“und „Pagliacci“keine Sekunde Müdigkeit, dafür umso mehr aus präzisen Setzungen von genau ausgehörte­n und modelliert­en Details gewonnene dramatisch­e Kraft mit sehr oft verblüffen­den neuen Balancen und Gewichtung­en.

Da zeigt sich fasziniere­nd: Wer wie Oksana Lyniv mit minutiösem Gestaltung­ssinn und genauer Klangvorst­ellung in die Noten hineinhört, kann ungewöhnli­che Farben, Dynamiken, Aktionen und Reaktionen heraushole­n, die auch bekannte und populäre Werke wie neu erscheinen lassen. Erstaunlic­h: Mascagnis sizilianis­che Dorftra- gödie in archaische­n Gesellscha­ftsstruktu­ren klingt da um vieles kühner, ja moderner als Leoncavall­os straff zugespitzt­es Eifersucht­sdrama zwischen Kunst und Leben.

Regisseur Lorenzo Fioroni fährt mit seinen Ausstatter­n Paul Zoller (Bühne) und Annette Braun (Kostüme) seine gewohnt bildgewalt­ige Theatermas­chinerie auf; so wird etwa die Pawlatsche­n des Bajazzo zu einem gigantisch ausstaffie­rten Totentanz in barocker Wolkenland­schaft, Kinoelemen­te sind wichtig, wohingegen die „Aufführung“des Dramas sich dann in einer modernen Sozialwohn­ung quasi hautnah abspielt. Das „schweigend­e“Dorfkollek­tiv der „Cavalleria rusticana“wird aufgebroch­en, wenn Mascagnis Intermezzo in Salonmusik­besetzung erklingt und Choristen zu individuel­len Statements am Mikrofon antreten. Das zeitigt gar empörte Buh-Zwischenru­fe aus den Logen! Aber alles hat (be)zwingende Logik und berstende Energie – zumal fabelhaft singschaus­pielerisch agiert und exzellent gesungen wird: überwältig­end von Ezgi Kutlu (Santuzza), Aldo di Toro (Turridu und Canio), Audun Iversen (Alfio und Tonio) und Aura Twarowska (die in dieser Aufführung statt Cheryl Studer als Mamma Lucia zu erleben war). Und das Chorkollek­tiv begeistert auf höchstklas­sigem Niveau. So packend direkt muss Oper sein!

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BILD: SN/OPER/KMETITSCH Salome liebt ihr Bild.
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