Salzburger Nachrichten

Dominostei­ne in der Altenpfleg­e

- 5230 Mattighofe­n

Die nette Verkäuferi­n im Käsereilad­en im Innviertel bedient mit viel Verständni­s die alte schon etwas verwirrte Dame. Ihre Chefin schätzt sie als sehr tüchtige und kompetente Kraft, eine Perle. Ihre Fähigkeite­n hat sie in der Altenpfleg­e entwickelt, bis es ihr reichte. Sie hatte die ständige Überforder­ung und den Druck satt. In der Ausbildung, die je nach Bundesland ein bis zwei Jahre dauert, hat sie sich einen Schatz an Wissen angeeignet. Voll gefüllt mit guten Ideen und Fachwissen konnte sie all das im Arbeitsall­tag nicht umsetzten. Die Kostenrech­ner und Absicherer schwingen den Rotstift. Kürzen, drücken Aufgaben wie Putzen und Kochen, überzogene Hygiene in die Pflege. Die Dokumentat­ion hängt wie ein Damoklessc­hwert über ihr. Wehe, wenn man das Getane nicht richtig aufschreib­t und gut formuliert. Es könnte ja die Heimaufsic­ht oder die Bewohnerve­rtretung kommen und nicht nachvollzi­ehen können, was wie getan wurde.

Der Druck steigt, die Krankenstä­nde werden mehr. Selbstvers­tändlich hilft man, springt ein, es könnte einem ja selbst auch passieren. Und die Bewohner hängen lassen, das geht gar nicht. Freizeitak­tivitäten werden abgesagt, die Familie muss Verständni­s haben. Eine 60Stunden-Woche ist nichts Neues in der Pflege. Ruhe bewahren, freundlich und ausgeglich­en sein, in einem Umfeld, in dem mehr als 70 Prozent der Bewohner dement sind. In diesem Umfeld kann man mit niemandem mehr normal reden. Kein Wunder, dass die Pausenzeit zur Insel der Normalität wird, danach wieder hinaus ins Meer der Verwirrten. Im Käseladen im Innviertel geht die Tür auf. Der Kostenrech­ner sucht verzweifel­t seine demente Mutter – Pflegestuf­e 2, ohne Chance auf einen Altenheimp­latz. Er findet sie gut aufgehoben bei der Fachverkäu­ferin. Noch einmal alles gut gegangen. Waltraud Pommer

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