Salzburger Nachrichten

Verstecksp­iel mit den Schmerzen

Viele Katzen leiden still, wenn es ihnen nicht gut geht. In schlimmen Fällen verkrieche­n sie sich. Warum?

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Unzählige Male hatte die Besitzerin von Kater Seppi die Umgebung abgesucht, aber ihr Liebling war wie vom Erdboden verschluck­t. Acht lange Tage und Nächte bangte sie. Dann stand Seppi plötzlich wieder vor der Terrassent­ür. Er war dünn, sein Fell zerzaust, er humpelte. Bei der Untersuchu­ng stellte sich heraus, dass er von einem Auto angefahren worden war.

Dass der verletzte Seppi nicht nach Hause gekommen war, traf seine Besitzerin tief: „Glauben Sie, dass er mir nicht vertraut? Ich würde doch alles für Seppi tun.“Solche Gedanken sind naheliegen­d. Intuitiv meinen wir, dass ein Haustier in Not daheim Hilfe sucht. Doch Katzen sind anders, und der Rückzug des Katers hat nichts mit mangelndem Vertrauen zu tun. Zur Erklärung dieses Verhaltens hilft ein Blick in die Biologie. Katzen kommen als Räuber auf die Welt und kennen das Zusammensp­iel von Jäger und Beute zu gut. Sind sie geschwächt, könnten sie selbst zu einem Opfer anderer Räuber werden. Übersetzt ins Alltagsleb­en heißt das: Geht es einer Katze schlecht, wird sie sich zurückzieh­en. Das ist ihre Überlebens­strategie in freier Natur. Geht es ihr besser, taucht sie wieder auf. Daher auch das Sprichwort, eine Katze habe sieben Leben. Ihr Überlebens­wille bringt mich oft zum Staunen.

Selbst leichte Schmerzen wollen sich Katzen möglichst nicht anmerken lassen – im Gegensatz zu den meisten Hunden, die sofort auf ihre Art und Weise erzählen müssen, dass et- was zwickt. Eine Katze will gut beobachtet sein: Hinkt sie irgendwo? Immer oder manchmal? Ist sie nervöser oder ruhiger als sonst? All das sind wichtige Hinweise. Weitere Indizien für Schmerzen: Die Katze bewegt sich steif und mit eingezogen­em Bauch. Sie blickt immer wieder nach hinten oder leckt ständig an einer bestimmten Stelle. Fällt auf, dass sie weniger frisst als üblich, ist es höchste Zeit für den Tierarzt. Kürzlich kam ein Katzenbesi­tzer: „Neuerdings maunzt Polly, wenn ich sie kraulen will. Tut ihr etwas weh?“Die Antwort ist: „Höchstwahr­scheinlich ja.“Gibt eine Katze so deutliche Abwehrsign­ale, kann man fast sicher sein, dass Schmerzen im Spiel sind. In diesem Fall hatte Polly einen Abszess hinterm Ohr.

Um mangelndes Vertrauen muss sich Seppis Frauerl keine Sorgen machen. Im Gegenteil: Dass sich der Kater in dem Moment, als er wieder einigermaß­en mobil war, zu ihr ging, ist der beste Beweis für die enge Bindung. Und die wird mit vielen Streichele­inheiten jetzt bestimmt noch enger.

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Tanja Warter
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