Stechende Blicke in die dunkle Historie
Iris Andraschek und Hubert Lobnig in Kärnten: Der pointierte Umgang mit politischen Themen ist nicht humorbefreit.
KLAGENFURT. Sie sind in Reih’ und Glied auf einem schwarzen Regal geordnet: Kunststoffköpfe mit Echthaar sowie Bücher aus der Zeit beziehungsweise über die Nazi-Zeit – von „Kunst im 3. Reich“bis zu „Nationalsozialismus in Kärnten“. Die dunkle Wand im Hintergrund mag als Symbol einer ebensolchen Epoche gelten, hier hängen auch auf der Rückseite versteckt Aquarelle eines Nazi-Sympathisanten, der den von KZ-Häftlingen errichteten Loibl-Tunnel dokumentiert. Die Puppengesichter wiederum stehen für die Entmenschlichung der Masse, das Stereotype, das Leblose ist dominanter als der individuelle Ausdruck.
„Das Regal“: So nennen Iris Andraschek und Hubert Lobnig ihre Installation im letzten Raum ihrer Personale „Empfindliches Gleichgewicht“im Klagenfurter Museum Moderner Kunst Kärnten (MMKK). Die Arbeit aus dem Jahr 2018 ist symptomatisch für die von den Künstlern angestrebte Durchdringung kulturellen und politischen Raums, für ortsbezogene Arbeit und multimediale Umsetzung. Die von Christine Wetzlinger-Grundnig kuratierte Schau präsentiert sowohl Gemeinschaftsprojekte als auch das autonome Schaffen der 55-jährigen Niederösterreicherin und des 56jährigen Kärntners. Beide stehen für einen zeitgemäßen, prononcierten Umgang mit (gesellschafts-)politisch brisanten Themen, wobei neben Grafik, Fotografie, Video, Installation und Objektkunst auch Malerei (Lobnig) zum Einsatz kommt.
„Empfindliches Gleichgewicht“ist ein Streifzug durch Arbeiten aus den vergangenen zwanzig Jahren. Einzige Ausnahme: von Iris Andraschek im Alter von 13 Jahren gemeinsam mit einer Freundin selbst gebastelte „Playboy“-Ausgaben, die den Umgang mit Sexualität in dieser Zeit spiegeln und von pubertären Wünschen künden.
Werke im öffentlichen Raum, etwa die aus lebensgroßen Betonfiguren bestehende Figurengruppe „Die Baubesprechung“auf einer Kreisverkehrsinsel bei Hainburg oder der im „Festival der Regionen“realisierte Kinoraum „Leben am Hof“mit vorgesetzter Bauernhoffassade dokumentieren ebenfalls, dass das OEuvre von Andraschek und Lobnig keinesfalls humorbefreit ist.
Die bildmächtige Fotoserie „Sekundäre Wildnis“von Iris Andraschek dokumentiert das vom urbanen Konsumstreben entkoppelte Leben von Menschen, die nicht nur ökologisch neue Wege gehen wollen. Dabei gelingen ihr poetischgeheimnisvolle Atmosphären und klare Symbolbilder, wie etwa der auf einem Altpapiercontainer thronende Pfau. Alternativen Lebensmodellen und Realitätsausformungen ist Andraschek etwa in der Fotoinstallation „Fragile Territorien“auf der Spur: Zu sehen sind private und intime bäuerliche Strukturen, die im Moloch Megacity – konkret in Chongqing in China – gewachsen sind. „Immer ist der forschende Blick realitätsbezogen und bedingungslos persönlich“, schreibt Katrin Bucher Trantow im text- und bildlich gelungenen Katalog.
Das Thema Migration wird unter anderem in Andrascheks Werkkomplex „Sapun Ghar“behandelt. Der Titel bezieht sich auf eine traditionelle syrische Seife, deren Produktion kriegsbedingt von Aleppo in die Türkei übersiedelt ist. Fotos, Videos sowie die für die Künstlerin typischen Zeichnungen auf Transparentpapier erzählen vom alten Handwerk und dem Neubeginn nach Tod und Zerstörung. Egal ob einzeln oder im Kollektiv: Die Bildsprache Andrascheks und Lobnigs ist so markant wie sinnlich, entsteht aus „aktiver Beobachtung von Situationen und Gegebenheiten“(Wetzlinger-Grundnig).