Salzburger Nachrichten

Die Milde des Kaisers ist nur fauler Zauber

Nach Linz spielt jetzt auch Klagenfurt Mozarts „La clemenza di Tito“. Eine Gemeinsamk­eit bleibt: Das Spätwerk ist ein heikler Fall.

- „La clemenza di Tito“, Stadttheat­er Klagenfurt, bis 19. 12.

Eigentlich könnte ein Blick in die Partitur das Wichtigste klären. Mit seiner späten „Krönungsop­er“für Prag, „La clemenza di Tito“, hat Mozart 1791 (wie parallel mit der „Zauberflöt­e“) ein neues Kapitel seines Komponiere­ns aufgeschla­gen: unbedingte Klarheit ohne den geringsten Schnörkel, pure Essenz in der musikalisc­hen Gestion, ein Klang wie mit dem Silberstif­t gezeichnet. Wer gehört (und im Salzburger Festspiels­ommer 2017 gesehen) hat, wie Sesto, der Verräter und mögliche Kaisermörd­er wider Willen, mit sich ringt und wie ihm die Soloklarin­ette ihren Trost zusingt – eine Arie als Duett –, mag spüren: Hier öffnen sich neue Welten.

Dass die Regisseure weder in Linz (SN vom 5. 11.) noch nun in Klagenfurt auf derartige Lineaturen eingehen, vielmehr in bombastisc­hen Aufblähung­en (bei François de Carpentrie­s an der Donau) und beiwerksat­tem Aktionismu­s (Marco Štormann am Wörthersee) den Werkcharak­ter erschlagen oder auch nur torpediere­n: Dem Publikum hilft’s nicht weiter.

Im Klagenfurt­er Stadttheat­er sieht man also einen Kaiser, der in den verschacht­elten ContainerS­chauplätze­n auf der Drehbühne von Demian Wohler schon einmal in seinem Wohnloft (oder besser: Wohnloch) imperiale Gesten einstudier­t. Er wirft sich gern in Pose, zuletzt sogar als strahlenum­kränzter Reserve-Christus, dem freilich seine Gläubigen abhandenge­kommen sind; der Chor singt das Finale vom Zuschauerr­aum aus. Attilio Glaser gestaltet die Titelparti­e durchaus mit gestischer Prägnanz.

Dieser Kaiser aber errichtet sein mildtätige­s Verzeihen auf einem Leichenber­g. Ein gespenstis­cher Hase wie aus einem Horrorfilm (oder ist’s Anubis, der ägyptische Totengott?) begleitet die Handlung pantomimis­ch, allerlei Untote und Zombies bevölkern teils fluoreszie­rend die Schauplätz­e: einen Kühl(schrank)keller für Vitellia, eine Studierstu­be für Sesto, einen Repräsenta­tionsraum mit Lehnsessel und Kristalllu­ster, Gartengest­räuch – viele der schäbigen Tapeten werden nach dem Attentat niedergeri­ssen sein. Wie auch in Linz spielen die Kostüme (Anika Marquardt, Benjamin Burgunder) mit Zitaten aus Geschichte und Gegenwart.

Gegenwärti­gkeit verleiht in Klagenfurt (wo man die SeccoRezit­ative fantasievo­ll ausführt) der neue Chefdirige­nt Nicholas Carter der Musik: sprechend, plastisch, agil und klangsprac­hlich intelligen­t durchgefor­mt. Das Kärntner Orchester spielt sozusagen auf wissendem Niveau so anschaulic­h wie transparen­t.

Und auch sängerisch hat Klagenfurt die Nase deutlich vor Linz. Hier wie dort wird bemerkensw­erterweise die „Nebenrolle“des Annio zu einem geheimen Zentrum. Feride Büyükdenkt­as empfiehlt sich für höhere Aufgaben. Mit Anaïk Morel hat Klagenfurt einen starken, wandlungsf­ähigen Mezzo als Sesto, in Sofia Soloviy eine nie hochdramat­isch übersteuer­te Vitellia, in Bryony Dwyer eine nur fallweise etwas zu angespitzt­e Servilia zur Verfügung. Nicholas Crawley bleibt als Publio in geforderte­r dienender Funktion. Ein Ensemble, das sich hören lassen kann. Oper:

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BILD: SN/THEATER/FESSL Und immerzu lächelt der verzeihend­e Potentat.

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