Die Milde des Kaisers ist nur fauler Zauber
Nach Linz spielt jetzt auch Klagenfurt Mozarts „La clemenza di Tito“. Eine Gemeinsamkeit bleibt: Das Spätwerk ist ein heikler Fall.
Eigentlich könnte ein Blick in die Partitur das Wichtigste klären. Mit seiner späten „Krönungsoper“für Prag, „La clemenza di Tito“, hat Mozart 1791 (wie parallel mit der „Zauberflöte“) ein neues Kapitel seines Komponierens aufgeschlagen: unbedingte Klarheit ohne den geringsten Schnörkel, pure Essenz in der musikalischen Gestion, ein Klang wie mit dem Silberstift gezeichnet. Wer gehört (und im Salzburger Festspielsommer 2017 gesehen) hat, wie Sesto, der Verräter und mögliche Kaisermörder wider Willen, mit sich ringt und wie ihm die Soloklarinette ihren Trost zusingt – eine Arie als Duett –, mag spüren: Hier öffnen sich neue Welten.
Dass die Regisseure weder in Linz (SN vom 5. 11.) noch nun in Klagenfurt auf derartige Lineaturen eingehen, vielmehr in bombastischen Aufblähungen (bei François de Carpentries an der Donau) und beiwerksattem Aktionismus (Marco Štormann am Wörthersee) den Werkcharakter erschlagen oder auch nur torpedieren: Dem Publikum hilft’s nicht weiter.
Im Klagenfurter Stadttheater sieht man also einen Kaiser, der in den verschachtelten ContainerSchauplätzen auf der Drehbühne von Demian Wohler schon einmal in seinem Wohnloft (oder besser: Wohnloch) imperiale Gesten einstudiert. Er wirft sich gern in Pose, zuletzt sogar als strahlenumkränzter Reserve-Christus, dem freilich seine Gläubigen abhandengekommen sind; der Chor singt das Finale vom Zuschauerraum aus. Attilio Glaser gestaltet die Titelpartie durchaus mit gestischer Prägnanz.
Dieser Kaiser aber errichtet sein mildtätiges Verzeihen auf einem Leichenberg. Ein gespenstischer Hase wie aus einem Horrorfilm (oder ist’s Anubis, der ägyptische Totengott?) begleitet die Handlung pantomimisch, allerlei Untote und Zombies bevölkern teils fluoreszierend die Schauplätze: einen Kühl(schrank)keller für Vitellia, eine Studierstube für Sesto, einen Repräsentationsraum mit Lehnsessel und Kristallluster, Gartengesträuch – viele der schäbigen Tapeten werden nach dem Attentat niedergerissen sein. Wie auch in Linz spielen die Kostüme (Anika Marquardt, Benjamin Burgunder) mit Zitaten aus Geschichte und Gegenwart.
Gegenwärtigkeit verleiht in Klagenfurt (wo man die SeccoRezitative fantasievoll ausführt) der neue Chefdirigent Nicholas Carter der Musik: sprechend, plastisch, agil und klangsprachlich intelligent durchgeformt. Das Kärntner Orchester spielt sozusagen auf wissendem Niveau so anschaulich wie transparent.
Und auch sängerisch hat Klagenfurt die Nase deutlich vor Linz. Hier wie dort wird bemerkenswerterweise die „Nebenrolle“des Annio zu einem geheimen Zentrum. Feride Büyükdenktas empfiehlt sich für höhere Aufgaben. Mit Anaïk Morel hat Klagenfurt einen starken, wandlungsfähigen Mezzo als Sesto, in Sofia Soloviy eine nie hochdramatisch übersteuerte Vitellia, in Bryony Dwyer eine nur fallweise etwas zu angespitzte Servilia zur Verfügung. Nicholas Crawley bleibt als Publio in geforderter dienender Funktion. Ein Ensemble, das sich hören lassen kann. Oper: