Regierung in Rom spielt auf Zeit
Im Budgetstreit zwischen Italien und der EU ist die Frist für ein Einlenken verstrichen. Eine Gefahr für die Eurozone sehen Experten nicht.
Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies erwartet bei Italiens Budget keinen Kurswechsel. Die Regierung habe einen längeren Atem als gemeinhin vermutet. SN: Was erwarten Sie im Budgetstreit als Nächstes? Daniel Gros: Ich glaube es wird auf beiden Seiten etwas Manövrieren geben, damit jeder sagen kann wir waren zu einem Kompromiss bereit, aber die anderes Seite wollte nicht. SN: Wird es ein Entgegenkommen Italiens geben? Kommt darauf an, ob man etwas so bezeichnet, das man in Italien als ein Zugehen auf die EU sieht, oder etwas, das die europäischen Sorgen wirklich anspricht. Ich glaube nicht, dass die italienische Regierung irgendetwas in diese Richtung anbieten kann, weil dann müsste sie einräumen, dass das Defizit zu hoch sein wird und die Annahmen über das Wachstum unrealistisch sind. SN: Finanzminister Giovanni Tria will eine automatische Ausgabenbremse einbauen und die Prognose für das Wachstum 2019 senken. Reicht das? Wohl nicht. Wenn die Regierung in Rom bei ihren Plänen bleibt, bestimmte Ausgaben hochzufahren, fragt man sich immer: Welche anderen Ausgaben sollen zurückgefahren werden? Solche Versprechen hat Italien ja schon sehr oft abgege- ben. Die Kommission ist nicht mehr bereit, sich auf vage Versprechen zu verlassen, dass Italien schon genug Ausgaben kürzen wird, um zum Ziel zu kommen. Italien hat schon vor Jahren argumentiert, es gebe eine automatische Schuldenbremse in Form einer Mehrwertsteuererhöhung, falls das Defizit aus dem Ruder zu laufen droht. Und dann wurde diese automatische Schuldenbremse jedes Jahr deaktiviert. SN: Die Prognosen von Italien und der EU-Kommission unterschieden sich ziemlich stark. Wer hat recht? Es ist wahrscheinlich, dass die Prognose der EU-Kommission eher richtig ist, denn weltweit geht das Wachstum zurzeit runter. Die Zinsen für Italien sind gestiegen und laut Umfragen ist die Zuversicht unter den Unternehmern gesunken. Das weist alles darauf hin, dass die Wirtschaft sich abkühlt. SN: … und das Defizit noch stärker steigt ? Das kann man nicht ausschließen. Man kann natürlich auch umgekehrt nicht ausschließen, dass die italienische Regierung nicht in der Lage ist, das Grundeinkommen rasch umzusetzen, und daher gewisse Ausgaben später kommen. Aber das muss man erst mal sehen. SN: Was erwarten Sie vonseiten der EU-Kommission? Die Kommission möchte in erster Linie zeigen, dass sie kompromissfähig ist und nicht schuld daran, dass es zu einem Verfahren kommt. Zugleich ist sie aber sehr darauf bedacht, ihren Ruf nicht weiter zu lädieren und sich vorhalten zu lassen, sie sei letzten Endes eingeknickt und habe den Stabilitäts- und Fiskalpakt nicht durchgesetzt. SN: Die EU-Kommission könnte mit dem Defizitverfahren bis Frühjahr zuwarten, bis die Zahlen für 2018 vorliegen. Erwarten Sie das? Das glaube ich nicht. Die Kommission hat schon im Mai festgestellt, dass Italien die Schuldenreduzierungskritierien nicht eingehalten hat. Sie hat es durchgehen lassen, mit dem Argument, dass sich die Regierung bemühe. Davon ist nichts mehr zu sehen. Es ist wie bei einem schlechten Schüler, der sich einmal gut benommen hat. Man lässt Gnade vor Recht ergehen, mit der impliziten Warnung „Wenn noch einmal etwas vorkommt, ist es aus“. Das ist die Situation bei Italien. SN: Die Zinsaufschläge auf italienische Anleihen sind zwar leicht gesunken, aber weiter hoch. Ihrer Einschätzung nach hat italien aber einen langen Atem , weil die durchschnittliche Laufzeit acht Jahre beträgt. Setzt die Regierung in Rom darauf? Genau, man hofft, dass sich die Lage beruhigt. Die Spreads sind weiter bei 300 Basispunkten, das ist gerade am Rande des Aushaltbaren. SN: Wie lang geht das? Das kann Jahre dauern – dann wäre Italien aber ständig am Rande des Abgrunds. SN: Die größte Gefahr droht von den Banken, die auf jeder Menge Staatspapieren sitzen, die an Wert verlieren. Das finde ich übertrieben. Der Wert der Anleihen sinkt, aber die Banken bekommen auch höhere Zinsen. Solange Italien nicht total ausfällt, halte ich das für relativ beherrschbar. Die Banken haben kein Liquiditätsproblem und Italien hat einen Leistungsbilanzüberschuss, das kann also relativ lang gehen. Das wirklich Unangenehme ist, dass die Banken die Zinsen für ihre Kredite an Unternehmen mittelfristig hochfahren werden, weil ihre eigenen Refinanzierungkosten steigen. Das hat natürlich negativen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung. SN: Was passiert, wenn die Ratingagentur Moody’s Italiens Anleihen auf Junkstatus setzt? Bevor das einen Einfluss hat, müssten es alle Agenturen tun, insofern halte ich das für relativ beherrschbar. Das Land hat Stärken. Das Ramschniveau wäre nur aufgrund der politischen Lage zu erklären, und die müsste sich noch wesentlich verschlechtern. SN: Das sehen Sie nicht? Ausschließen kann man nichts, für sehr wahrscheinlich halte ich eine solche Entwicklung aber nicht. SN: Ifo-Chef Clemens Fuest sagt , kein Land kann lang 130 Prozent Schulden aushalten. Sie halten die Lage für weniger dramatisch. Solange die Zinsen und das nominale Wirtschaftswachstum ähnlich sind wie derzeit in Italien bei rund drei Prozent, kann man das lang aushalten. Das ist nicht so komfortabel wie in Deutschland oder Österreich, wo die Zinsen null sind und das nominale Wachstum vier Prozent. Aber es bedeutet für Italien eine verpasste Chance, die Schulden zu senken. SN: Wird die italienische Politik die Eurozone belasten? Man kann eine Verschlechterung der Lage nicht ausschließen, aber zumindest kurzfristig sehe ich keine große Gefahr. SN: Und was, wenn sich die Konjunktur weiter abschwächt? Das wäre unangenehm und macht die Situation in der Währungsunion schwieriger. Aber meistens gehen dann auch die Zinsen runter und das hilft.
Daniel Gros (63) ist Direktor des Centre for European Policy Studies (CEPS). Der deutsche Ökonom hat für den Internationalen Währungsfonds gearbeitet, die EU-Kommission und das EUParlament beraten.