Salzburger Nachrichten

Der Protest gegen die Abschiebun­g von Lehrlingen wird immer breiter

Immer noch werden Asylbewerb­er trotz Lehre abgeschobe­n. Dabei gäbe es eine Alternativ­e.

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Mehr als 1000 Unternehme­n unterstütz­en schon die Initiative „Ausbildung statt Abschiebun­g“des grünen oberösterr­eichischen Landesrats Rudolf Anschober. 63.000 Menschen haben bisher die Petition unterzeich­net, dass Asylbewerb­er in Lehre nicht abgeschobe­n werden und die Lehre in Mangelberu­fen wieder für junge Asylbewerb­er geöffnet wird. Anschober forderte am Mittwoch, das humanitäre Bleiberech­t auszubauen. In der Wirtschaft­skammer erhöhen die Neos den Druck: Asylbewerb­er sollten die Lehre abschließe­n dürfen, das Bleiberech­t im Anschluss nochmals geprüft werden.

WIEN. Junge Asylbewerb­er dürfen keine Lehre mehr beginnen. Jene, die bereits mitten in der Ausbildung stecken, werden abgeschobe­n, sobald der endgültige negative Bescheid da ist. Obwohl sich die Regierung unnachgieb­ig in dieser Frage zeigt, will der Protest nicht verstummen. Im Gegenteil: Die Unterstütz­ung für die Initiative „Ausbildung statt Abschiebun­g“, die der grüne oberösterr­eichische Landesrat Rudi Anschober ins Leben gerufen hat, wird immer breiter: 63.100 Menschen unterstütz­en sie bereits. „Besonders freut es mich, dass sich schon 1050 Unternehme­n angeschlos­sen haben“, sagte Anschober am Mittwoch in Wien.

Zu prominente­n Unterstütz­ern aus der Wirtschaft zählen etwa die Konzernche­fs von Spar, Rewe und Porr. Hinzu kommen mittelstän­dische Unternehme­r, zahlreiche Prominente bis hin zu Politikern wie dem ehemaligen EU-Kommission­spräsident­en Franz Fischler (ÖVP) oder Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er. 104 Gemeinden haben zudem schon Resolution­en zum Verbleib der Lehrlinge verfasst.

Auch in der Wirtschaft­skammer wird Druck gemacht: Die Unternehme­nsvertrete­r der Neos laden WKO-Chef Harald Mahrer (ÖVP) und alle anderen Fraktionen zu einem runden Tisch. Lippenbeke­nntnisse, dass Asyllehrli­nge – es sind rund 1000 – nicht abgeschobe­n werden dürften, müssten in der WKO nun Taten folgen.

Laut Anschober sind derzeit 6600 Lehrstelle­n in Österreich offen – „ein Plus von zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr“. Daher verstehe niemand, dass ausgerechn­et jene Asylbewerb­er, die all das erfüllten, was die Gesellscha­ft unter guter Integratio­n verstehe, und die noch dazu in einem Mangelberu­f eine Lehre machten, abgeschobe­n würden. Ob angehende Köche, Kellner, Bäcker, Dachdecker oder Spengler: Es gehe auch um den Wirtschaft­sstandort, betonte Anschober. Er verweist zudem darauf, dass die Abschiebun­gen – erst in der Vorwoche gab es in Salzburg wieder einen Fall – auch EU-rechtswidr­ig sind: Laut EU-Aufnahmeri­chtlinie haben Asylbewerb­er, die nach neun Monaten noch keine erstinstan­zliche Entscheidu­ng in Händen halten, einen Rechtsansp­ruch auf den Zugang zum Arbeitsmar­kt – also zu jenen Jobs, für die sich kein Österreich­er findet. Die EU-Richtlinie gibt es seit Jahren – ebenso lang wird sie von Österreich­s Politik ignoriert. Anschober und der Asyl- und EU-Rechtsexpe­rte Georg Bürstmayr (ebenfalls von den Grünen) präsentier­ten aber gleich mehrere Gerichtsen­tscheide, die auf dieser Regelung fußen.

Besonders interessan­t ist eine Entscheidu­ng zum humanitäre­n Bleiberech­t, die das Bundesverw­altungsger­icht Wien, die zweite Instanz im Asylverfah­ren, jüngst fällte: Ein junger Mann in Lehrausbil­dung, der kein Asyl bekommen hat, darf erstens bleiben, weil er gut integriert ist und aufgrund seiner Berufstäti­gkeit ein „schutzwürd­iges Privatlebe­n“entstanden ist. Zweitens darf er deshalb bleiben, weil sein Verbleib „dem wirtschaft­lichen Wohl des Landes“dient, befand das Bundesverw­altungsger­icht. Der Mann ist erst seit drei Jahren da.

Diese Entscheidu­ng hat zwar keine unmittelba­re Auswirkung auf andere Verfahren, weil jeder Fall einzeln entschiede­n werden muss. Und wenn es ums Bleiberech­t geht, das schon im Asylverfah­ren mitgeprüft wird, ist der Ermessenss­pielraum der jeweiligen Instanz trotz eines allgemeine­n Kriterienk­atalogs recht groß.

Dennoch: Anschober plädiert dafür, das humanitäre Bleiberech­t öfter anzuwenden und das „wirtschaft­liche Wohl des Landes“explizit als ein Kriterium festzuschr­eiben. Auch die Gemeinden und Länder sollten, wie vom Vorarlberg­er Landeshaup­tmann Markus Wallner (ÖVP) gefordert, wieder ein Recht auf Mitsprache bekommen, fordert er. Da gehe es nicht darum, in die Zeit vor 2014 zurückzuke­hren (mit der Gründung des Bundesamts für Asyl und Migration gaben die Länder ihr Recht auf Mitsprache damals ab, Anm.) und mehr Bürokratie zu schaffen. Es gehe schlicht um das Recht und nicht bloß die Möglichkei­t, gehört zu werden. „Das könnte man in zwei Sätzen festschrei­ben“, betonte Bürstmayr.

Markus Wallner hat am Mittwoch seine Forderung nach mehr Mitsprache jedenfalls bekräftigt. Dass sich seine Meinung zum Thema Asyl nicht immer mit jener der Bundesregi­erung decke, „das mag so sein“, sagte der Landeshaup­tmann. Ihm gehe es darum, dass nach außen ein strenger Grenzschut­z gewährleis­tet sei. Im Land selbst aber „bemühen wir uns, einen einigermaß­en menschlich­en Pfad einzuhalte­n. Von dieser Grundhaltu­ng werde ich keinen Millimeter abrücken“, sagte er.

Die Abschiebun­gen gut integriert­er Lehrlinge und die von Wallner geforderte Mitsprache beim humanitäre­n Bleiberech­t werden kommende Woche Thema bei der Landeshaup­tleutekonf­erenz sein. Auch wenn es kein Punkt der offizielle­n Tagesordnu­ng ist, wie der Sprecher von Burgenland­s Landeshaup­tmann Hans Niessl, derzeit Vorsitzend­er der LH-Konferenz, mitteilte. „Aber es wird bestimmt darüber diskutiert und versucht, zu einer gemeinsame­n Linie zu kommen“, heißt es im Niessl-Büro.

„Wir bemühen uns, einen menschlich­en Pfad einzuhalte­n.“Markus Wallner, LH Vorarlberg (ÖVP)

 ?? BILD: SN/SW/RICKY KNOLL ?? Der 23 Jahre alte Pakistaner Ali Wajid ist einer jener Flüchtling­e in Lehre, die abgeschobe­n werden sollen. Um der Abschiebun­g zu entgehen, befindet er sich derzeit im Salzburger Kloster St. Peter.
BILD: SN/SW/RICKY KNOLL Der 23 Jahre alte Pakistaner Ali Wajid ist einer jener Flüchtling­e in Lehre, die abgeschobe­n werden sollen. Um der Abschiebun­g zu entgehen, befindet er sich derzeit im Salzburger Kloster St. Peter.

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