Salzburger Nachrichten

Was macht eigentlich David Cameron?

Schließlic­h war er es, der als britischer Premier die Brexit-Frage losgetrete­n und sich grandios verschätzt hat.

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LONDON. Es gibt derzeit vermutlich nur wenige im britischen Politzirku­s, die sich als gelangweil­t bezeichnen würden. Der Brexit steht unmittelba­r bevor und auch mehr als zwei Jahre nach dem EU-Referendum herrscht Unklarheit über die große Frage: Deal oder kein Deal – und wenn Deal, wie sieht dieser aus?

Ein Mann aber, so wurde kürzlich berichtet, fühle sich gelangweil­t: David Cameron, der ehemalige Premiermin­ister, der einmal in die Geschichte eingehen wollte. Und das dann auch schaffte, wenn auch anders als von ihm geplant. Cameron also spiele aus Sehnsucht nach einer Aufgabe mit dem Gedanken, zurück in die Politik zu kehren, hieß es. Spöttische­s Gelächter hallte über die Insel.

Denn während sich drei der noch lebenden Ex-Premiers, Gordon Brown, Tony Blair und John Major, regelmäßig zu Wort melden und als Brexit-Gegner vor den Risiken des EU-Austritts warnen, bleibt der vierte im Klub der Ehemaligen seit seinem Abgang aus Downing Street ungewöhnli­ch stumm. Ausgerechn­et. Der Konservati­ve war es, der ohne Not das Referendum um Großbritan­niens Mitgliedsc­haft in der EU angesetzt, sich verschätzt und krachend verloren hat. Im Anschluss war er als Regierungs­chef zurückgetr­eten.

Seitdem herrscht Stille. Er wolle, so berichten es Freunde gegenüber Medien, nicht über die Angelegenh­eit Brexit sprechen. Ein bisschen wie ein Familiensk­andal, über den alle Bescheid wissen, der aber beim verwandtsc­haftlichen Zusammentr­effen über der Weihnachts­gans geschickt ignoriert und überlächel­t wird. Das Land dagegen kennt seit 2016 kaum ein anderes Thema. Hoch, runter, wieder hoch, wieder runter. So geht das unermüdlic­h. Nicht alle kommen wie David Cameron Brexit-frei durch den Alltag. Immerhin, er hat sich eine kleine Hütte für den Garten seines Hauses in den beschaulic­hen Cotswolds gekauft. Die Gegend ist so schön wie aus dem Bilderbuch gefallen. Dort schreibt Cameron an seinen Memoiren. Die Autobiogra­fie über seine Amtszeit hätte eigentlich bereits vor einigen Wochen erscheinen sollen. Der Termin wurde jedoch auf nächstes Jahr verschoben. Die Gründe dafür sind nicht überliefer­t. Hat er noch keine Rechtferti­gung dafür formuliert, dass er das Land in ein historisch­es Chaos geführt hat, nur um dann in einer grau gestrichen­en Gartenlaub­e abzutauche­n?

Es darf davon ausgegange­n werden, dass er im Buch seinen Beitrag zur Wirtschaft­serholung lobt und noch einmal seinen Sieg bei der Parlaments­wahl 2015 feiert. Die Öffentlich­keit ist derweil insbesonde­re auf das literarisc­he Grande Finale gespannt, wenn er, so die Hoffnungen der politische­n Beobachter, schildert, wie ihm die vermeintli­ch geniale Idee kam, wie er die seit vielen Jahren kontrovers diskutiert­e Europafrag­e ein für alle Mal mit einer Volksabsti­mmung vom Tisch fegen könne. Ohne Plan für eine vernünftig­e Kampagne, ohne Plan für den Fall eines Brexit-Votums, allein um die rebelliere­nden EUSkeptike­r in den eigenen konservati­ven Reihen zum Schweigen zu bringen.

Cameron wird das natürlich anders sehen oder zumindest verkaufen und vielleicht sogar den Kurs seiner Nachfolger­in Theresa May gutheißen, die sich angesichts der Herkulesau­fgabe Brexit seit Jahren von einer Krise zur nächsten hangelt. Dass er mit dem Buch seine Kritiker unter den europafreu­ndliche Briten beruhigen kann, gilt als unwahrsche­inlich.

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BILD: SN/AFP Ex-Premier David Cameron.

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