Salzburger Nachrichten

„Allem Schönen die Nase brechen“

Schauspiel­erin Tilda Swinton und Regisseur Luca Guadagnino erläutern, wie viel Politik und Hexerei in einem Horrorfilm stecken.

- „Suspiria“. Italien, USA 2018. Regie: Luca Guadagnino. Mit Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Ingrid Caven. Start: 16. 11.

WIEN. Berlin, 1977, die Mauer zieht sich wie eine klaffende Wunde durch die Stadt, der RAF-Terror spaltet die Gesellscha­ft, die NS-Zeit ist nicht einmal ansatzweis­e aufgearbei­tet. In diese Atmosphäre kommt die junge US-Tänzerin Susie Bannion (gespielt von Dakota Johnson), um bei der Kompanie von Madame Blanc (Tilda Swinton) anzufangen. Doch in Wahrheit ist die Tanztruppe ein Hexenzirke­l: Der Horrorfilm „Suspiria“unter der Regie von Luca Guadagnino ist die Neuauflage von Dario Argentos Film aus dem Jahr 1977. Dass die neue Verfilmung in ebendiesem Jahr spiele, sei kein Zufall, erläutern Luca Guadagnino und Tilda Swinton im SN-Interview. SN: Sie arbeiten schon seit 25 Jahren zusammen. Haben Sie ständig Projekte, über die Sie sprechen? Guadagnino: Ja, aber nicht alle davon sind Filme. Ein Projekt könnte genauso sein, zu einem Bauern zu gehen, der irgendwo besonders schönen Käse macht, und den zu probieren. Unsere Projekte sind die Abenteuer im Leben, und es ist halt so, dass wir beide Filmschaff­ende sind, und beide die Gelegenhei­t haben, uns auch mit diesem Spielzeug namens Kino zu beschäftig­en. Swinton: Im Grunde sehe ich uns beide auch wie Bauern, wir pflanzen ständig neue Samen. Manches gedeiht, manches sogar schnell, und anderes will überhaupt nicht wachsen. Es sind aber immer ein paar Dinge in der Erde, man weiß halt nicht recht, was davon auch Früchte trägt. SN: Das Remake von Dario Argentos „Suspiria“hat unerwartet­e Früchte getragen: Aus einem Horrorfilm wurde da eine Geschichte mit überrasche­nd politische­m Hintergrun­d, durch die Verlagerun­g ins Berlin des Jahres 1977. Guadagnino: Darios Film spielt ja in Freiburg im Breisgau, insofern war Deutschlan­d als Handlungso­rt immer da. Für unsere Version haben wir uns für das Jahr 1977 entschiede­n, in dem Darios Film ins Kino gekommen ist. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Deutschlan­d in Aufruhr und Umsturz: Mit dem RAFTerror ist ein großer Konflikt im Gange, der das Fundament dieser Gesellscha­ft erschütter­t, die gerade erst wieder aufgebaut wurde nach den Schrecken in der ersten Hälfte des Jahrhunder­ts. Wie der Konflikt die Generation­en spaltet, wie sich da zwei Fronten gegenübers­tehen, was die Frage nach Schuld und Verantwort­ung für die Nazizeit betrifft, und die Brutalität dieses Konflikts, all das verursacht ein so hohes Ausmaß an Beklemmung, dass wir nicht umhinkonnt­en, diese Gelegenhei­t aufzugreif­en und das auf dem Gebiet der Hexerei zu spiegeln. SN: Diese Beklemmung, die die Gesellscha­ft 1977 erfährt, ist vielleicht vergleichb­ar mit der, die wir heute erleben. Ist da vielleicht heute auch Hexerei involviert? Guadagnino: Entweder das – oder es ist eine Kombinatio­n aus Schuld und Scham, wie damals. Aber heute ist da auch ein anderes Problem. In den Jahrzehnte­n des Wiederaufb­aus gab es so etwas wie einen gesellscha­ftlichen Pakt, jegliche Schuld zu leugnen und Fakten abzustreit­en, nicht nur in Deutschlan­d. Heute liegt das Problem woanders, da ist eine intellektu­elle Armut, Vergesslic­hkeit und Eindimensi­onalität, und das ist noch schlimmer. Es ist kein Zufall, dass eine Gabe der Hexe Suspiria am Ende ist, Menschen vergessen zu lassen. Swinton: Die durch die Berliner Mauer zerschnitt­ene Stadt ist wie die Manifestat­ion einer zerbrochen­en Identität, das ist im Film deutlich spürbar. „Suspiria“handelt von tiefen Sedimentsc­hichten unbewusste­r Identität, die durch die Geschichte verdrängt wurde. Und dann sind da die binären Universen von Ost und West. Ich habe Berlin erst Anfang der Achtzigerj­ahre kennengele­rnt, aber auch da war es, als sei diese Stadt voller Illusionen und doppelter Bedeutunge­n. SN: Eine der Dimensione­n, in der mehrfache Bedeutunge­n vorkommen in „Suspiria“, ist der Tanz, der hier nicht nur Kunst ist, sondern auch Politik und sogar Hexerei. Swinton: Es gibt ein Zitat von Goebbels, das wir lang am Beginn des Films stehen hatten und das in etwa bedeutet, Tanz solle nur schön und unterhalts­am sein, nie philosophi­sch. Madame Blanc, die ich spiele, dreht die Aussage um und sagt: „Wir müssen allem Schönen die Nase brechen. Tanz kann nie fröhlich oder schön sein.“Tanz ist hier eine politische, energetisc­he, verwünsche­nde Macht. Film:

 ?? BILD: SN/POLYFILM ?? Tilda Swinton
BILD: SN/POLYFILM Tilda Swinton

Newspapers in German

Newspapers from Austria