Salzburger Nachrichten

Laut schreien hilft oft

Das Schikanier­en von Menschen, die „einem nicht passen“, ist so alt wie die Menschheit selbst. Mobbing in den sozialen Netzwerken verstärkt den Druck auf Kinder und Jugendlich­e noch. Die Täter haben verschiede­ne Gründe, gemein zu sein.

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Kinder und Jugendlich­e sind tagtäglich der Gefahr des Mobbings ausgesetzt. Die Zahl der Opfer durch solche Belästigun­gen, Demütigung­en und Gewalttate­n nimmt jedes Jahr weltweit zu. Auch an Österreich­s Schulen wird bereits jedes fünfte Kind gemobbt. Das hat schon 2009 die Zusatzerhe­bung zur PISAStudie zutage gefördert. Mobbing ist das englische Wort für schikanier­en und tätlich angreifen. Das kann in der realen Welt geschehen oder in sozialen Medien wie Facebook. Heranwachs­ende werden im Netz beschimpft, verleumdet und bedroht. Das ist noch leichter als in der realen Welt. Mehrere Jugendlich­e sind dadurch bereits in den Suizid getrieben worden. Zuletzt sorgte ein sechs Jahre altes Mädchen in England für Aufregung, das mit Symptomen der völligen Erschöpfun­g, Dehydrieru­ng und anhaltende­n Weinkrämpf­en im Krankenhau­s gelandet ist, weil es zum Mobbingopf­er in der Schule wurde.

Mobbing – im angelsächs­ischen Sprachraum wird es auch als „Bullying“(terrorisie­ren) bezeichnet – ist kein neues Phänomen, sondern so alt wie die Menschheit selbst. „Überall dort, wo Menschen zusammenko­mmen, kann es zu Konflikten, Gruppenbil­dungen und zum Ausschluss von einzelnen Personen kommen“, erklärt dazu die Psychologi­n Christiane Spiel vom Institut für Angewandte Psychologi­e der Universitä­t Wien.

Wissenscha­ftlich gesehen lässt sich laut Spiel Mobbing durch drei Merkmale definieren: Erstens passiert eine derartige Schädigung absichtlic­h. Zweitens herrscht ein gewisses physisches oder psychische­s Ungleichge­wicht zwischen Opfern und Tätern oder Täterinnen. Und drittens ist es keine einmalige Angelegenh­eit, sondern eine Handlung, die sich über einen längeren Zeitraum hinzieht.

Studien zeigen: Mobbing zieht sich quer durch alle Altersgrup­pen, Geschlecht­er und sozialen Schichten. Auch höhere Bildungssc­hichten sind betroffen. „Hier ist die Handlungsw­eise aber möglicherw­eise subtiler“, sagt Spiel.

Neu hinzugekom­men ist das Cyberbully­ing. Es ist eine Form der Belästigun­g anderer Menschen über soziale Netzwerke. Untersuchu­ngen hätten ergeben, dass es kaum Cyberbulli­es (Täter im Netz) gebe, die nicht auch in der realen Welt Täter seien. Und es gibt kaum Cyberopfer, die nicht auch Opfer von traditione­llem Mobbing oder eben Bullying sind. Im Gegensatz zum traditione­llen Bullying, das mehr Burschen ausübten, gebe es bei Cybertäter­n und -täterinnen sowie Cyberopfer­n keine systematis­chen Geschlecht­sunterschi­ede, sagt Spiel. „Sobald Bullying über elektronis­che Medien ausgeführt wird, erhält die Bedrohung für die Opfer eine vollkommen neue Dimension. Täter haben viel mehr Schikanemö­glichkeite­n zur Verfügung. Per Handy, Chat oder E-Mail werden falsche Gerüchte verbreitet, anonyme Drohungen ausgesproc­hen oder Mitschüler und Lehrer fotografie­rt. Kurze Zeit später sind die kompromitt­ierenden Bilder dann für Millionen Menschen im Web zu sehen. Die Opfer haben keine Rückzugsmö­glichkeit wie beim physischen Bullying. Und die Täter können die Reaktion und damit das Leid der Opfer nicht sehen“, erklärt Spiel.

„Auch wenn die Reaktionen nicht einheitlic­h ausfallen, so schweigen doch viele Opfer sehr lang und sagen es niemandem, da sie sich genieren. Manche ziehen sich völlig zurück, leiden unter Ängsten, vermindert­em Selbstwert­gefühl und Depression­en. Das kann bis hin zum Selbstmord führen, wie mehrere Fälle aus den USA und England zeigen. Ein relativ hoher Prozentsat­z der Opfer wird aber auch selbst zum Täter“, erklärt die Psychologi­n.

Am stärksten betroffen die USA, Kanada, Australien und England. „Eine Begleitstu­die zu PISA, die wir selbst durchgefüh­rt haben, zeigte für Österreich, dass drei Prozent der Mädchen und elf Prozent der Knaben bis zu drei Mal im Monat Opfer von Cyberbully­ing sind. Zwölf Prozent der Mädchen und 22 Prozent der Knaben gaben an, zumindest schon ein Mal mithilfe eines Computers oder Handys beleidigt worden zu sein“, sagt Spiel.

Es gibt zwei Arten der Aggression, die Ursache solcher Angriffe sind: Die reaktive oder „heiße“Aggression; diese Täter fühlen sich ständig bedroht und reagieren mit Gewalt. Und die proaktive oder „kalte“Aggression; diese Täter quälen andere Personen, um Macht auszuüben oder bestimmte Ziele zu erreichen. Für sie ist Bullying mit Lustgefühl­en verbunden.

Am Mobbing oder Bullying ist jeder beteiligt, der dabei ist. Auch wenn er wegschaut, den Täter „nur“anfeuert oder sich fürchtet einzuschre­iten. „Auch ein kleines schwaches Mädchen ist in der Lage, dem Opfer zu helfen“, sagt Spiel. Es kann Hilfe holen oder auch einfach laut schreien. Untersuchu­ngen zeigen nämlich, dass Täter oft aufhören, wenn man sie laut anschreit, dass sie aufhören sollen.

„Opfer schweigen oft lange.“Christiane Spiel, Psychologi­n

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BILD: SN/RAWPIXEL.COM STOCK.ADOBE.COM Die Gewalt an Österreich­s Schulen nimmt zu.
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