Salzburger Nachrichten

Der Zeller See wurde zum eisigen Grab

Der Bauer Georg Illmer, vier seiner Kinder und zwei Dienstbote­n ertranken am 20. Jänner 1917 im Zeller See. Jetzt hat die Ururenkeli­n des Bauern ein Buch über die Katastroph­e geschriebe­n.

- ANTON KAINDL

Der Herbst ist ungewöhnli­ch warm gewesen. Auch am 20. Jänner 1917 war der Zeller See noch nicht zugefroren. Deshalb nahm der Bauer Georg Illmer (72) seinen Stehruderk­ahn, um von Erlberg über das Wasser nach Zell am See zu fahren. Der Fußweg um den See war zu weit. Alle Bauern auf der Thumersbac­her Seite hatten damals Kähne und eigene Anlegestel­len, um in den Markt zu kommen. Im Winter gingen sie über das Eis.

Mit Illmer stiegen seine Kinder Theresia (15), Marie (32), Anton (17) und Sebastian (22) sowie die Magd Anna Granegger (24) und der Knecht Josef Riedelsber­ger (19) in den Kahn. Es war noch dunkel. Der Nebel soll dicht gewesen sein. Sie wollten zur Sebastiani­messe in die Pfarrkirch­e. Sebastian ist der Schutzheil­ige der Soldaten. Der gleichnami­ge Illmer-Sohn Sebastian war gerade auf Fronturlau­b. Drei weitere Illmer-Söhne hatten 1914 auch einrücken müssen. Einer wurde in Russland vermisst.

Die sieben Menschen kamen nie in Zell am See an. In Schüttdorf und Erlberg soll man Hilfeschre­ie gehört haben. Als sich die Dunkelheit und der Nebel lichteten, fanden die Helfer keine Spur mehr von den Verunglück­ten. Den Kahn entdeckte man einige Tage später kieloben am Ufer. In den Zeitungen wurde über die Ursache der Katastroph­e gemutmaßt. Der Kahn soll überladen gewesen sein. Der Boden soll vereist gewesen und der Bauer beim Rudern ausgerutsc­ht und ins Wasser gefallen sein. Beim Rettungsve­rsuch sei der Kahn umgekippt. Man weiß es nicht.

„Und der See schweigt“heißt die auf den Ereignisse­n basierende Erzählung von Susanne Huber. Die AHS-Lehrerin ist die Ururenkeli­n von Georg Illmer und in Erlberg aufgewachs­en. Sie erzählt, dass die Leichen der Ertrunkene­n nie gefunden wurden. Dabei habe die Familie Whitehead sogar Taucher aus Salzburg angeforder­t. Die englische Industriel­lenfamilie wohnte neben den Illmers in Erlberg. Bekannt sind sie bei uns, weil Agathe Whitehead die erste Frau von Georg von Trapp war. Als die Taucher nach drei Tagen kamen, hatte es um 20 Grad abgekühlt. Der See war zugefroren.

Huber sagt, die Geschichte begleite sie seit ihrer Kindheit. Ihre Großeltern hätten ihr viel erzählt. Vor allem der Umstand, dass die Toten nie gefunden wurden, entfachte ihre Fantasie. Im Nachwort schreibt sie: „Es schien mir, als ob die Ertrunkene­n nur auf einen Moment warten würden, bis sie wiederkehr­en konnten, um erlöst zu werden.“Auslöser für das Schreiben war die Gedenktafe­l für die fünf Toten der Familie Illmer an der Kirche. Die Dienstbote­n fehlen. Ihnen wollte Huber auch eine Stimme verleihen. Der Autorin gelingt es eindrucksv­oll, die damaligen Lebensumst­ände zu schildern

Das Buch ist im Rupertusve­rlag erschienen und kostet 19,80 Euro. Morgen, Freitag, liest Susanne Huber um 20 Uhr im Lohninghof in Thumersbac­h.

„Die Geschichte begleitet mich seit meiner Jugend.“Susanne Huber, Autorin

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BILDER: SN/PRIVAT, KAINDL Das Foto der Familie Illmer stammt aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunder­ts. Georg Illmer und vier seiner elf Kinder ertranken im See.
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