Salzburger Nachrichten

Das dünne Eis und die Republik

Aus der Geschichte zu lernen ist heute so wichtig wie schon lange nicht mehr.

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Diese Kolumne entsteht am hundertste­n Jahrestag der Gründung der Republik Österreich, jenes ungeliebte­n Rests der Habsburger­monarchie, den so niemand haben wollte und dem auch fast niemand eine Chance gab. Durch die Verwerfung­en der Nachkriegs­zeit und der Wirtschaft­skrise bedingt, drifteten die politische­n Lager immer weiter auseinande­r und die Erste Republik endete in Hass, Kampf und Diktatur, vom Bürgerkrie­g bis hin zum nationalso­zialistisc­hen Schreckens­regime mit all seinen Folgen und Gräueltate­n.

Daraus zogen die Architekte­n der Zweiten Republik ihre Lehren und sorgten dafür, dass der Ausgleich zwischen den politische­n Lagern und wirtschaft­lichen Interessen in der demokratis­chen Verfassung verankert wurde. Das war eine der wesentlich­en Grundlagen des Erfolgs dieser Republik, die, wirtschaft­lich durch den Marshallpl­an unterstütz­t und diplomatis­ch seine Neutrali- tät geschickt nutzend, sich einen unglaublic­hen Aufschwung erarbeitet­e, hin zu militärisc­hem und sozialem Frieden, internatio­naler Anerkennun­g und großem Wohlstand.

Aber anscheinen­d geht der Esel immer noch gern auf das Eis tanzen, wenn es ihm zu gut geht, weil er nicht mehr weiß oder einfach ignoriert, wie dünn die Schicht ist, auf der er sich bewegt, und wie tief und grauenerre­gend der Abgrund darunter. Äußerungen von Kräften, die die ausgleiche­nden Grundlagen dieser Republik geringschä­tzen, sie aushebeln oder gar zerschlage­n wollen, häufen sich auf verschiede­nsten Ebenen und finden zunehmend Beifall. Ich empfehle uns allen, wieder einmal in ein Geschichts­buch zu schauen, denn das Muster ist immer dasselbe: Gesellscha­ften, die diesen Ausgleich ignorieren, enden früher oder später in Gewalt, Chaos und Diktatur.

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Fritz Messner

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