Salzburger Nachrichten

Motto in Brüssel: Das Beste hoffen, auf alles vorbereite­t sein

Kanzler Sebastian Kurz warnt vor einem harten Brexit: „Er würde auch der EU schaden, aber Großbritan­nien massiv.“

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So dramatisch die innenpolit­ischen Vorgänge in London auch sind, die anderen 27 EU-Staaten halten an ihrem Brexit-Fahrplan fest: Es soll kein Nachverhan­deln des Vertragsen­twurfs geben, wie das etwa am Freitag der vorletzte Brexit-Minister David Davis gefordert hat. Und die Staats- und Regierungs­chefs werden Sonntag in einer Woche, also am 25. November, auf jeden Fall zum geplanten BrexitSond­ergipfel zusammenko­mmen. Und zwar unabhängig davon, ob die britische Premiermin­isterin Theresa May dann noch im Amt ist oder nicht. Sie muss sich möglicherw­eise Anfang nächster Woche einem Misstrauen­svotum in ihrer eigenen Fraktion stellen.

„Wir stehen an einem kritischen Punkt“, sagte Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gestern, Freitag, in Brüssel. Es sei völlig offen, ob der Brexit-Deal im Parlament in London eine Mehrheit finden werde. Kurz warnte neuerlich vor den Folgen eines harten Brexit ohne Abkommen: „Jeder, der damit liebäugelt, muss wissen, dass das zwar auch der EU schadet, Großbritan­nien aber massiv.“Er hoffe weiter auf grünes Licht aus London. „Niemand ist über den Tsch gezogen worden“, betonte der Kanzler. Der Deal sei gut.

Kurz war als amtierende­r Ratsvorsit­zender zu Gesprächen mit EU-Chefverhan­dler Michel Barnier, Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsid­ent Donald Tusk nach Brüssel gekommen.

Ein harter Brexit, also ein Ausscheide­n Großbritan­niens aus der EU ohne jegliche vertraglic­he Absicherun­g, ist mit den jüngsten Turbulenze­n in London wieder näher gerückt. Eigentlich müssten die Briten am 29. März 2019 die Union verlassen. Dann ist die zwei Jahre währende Frist abgelaufen, die laut Artikel 50 des EU-Vertrags am Tag des Austrittsa­ntrags zu laufen beginnt.

Es sei denn, die verbleiben­den EU-Staaten einigen sich einstimmig darauf, diese Frist ausnahmswe­ise nochmals zu verlängern. Damit würden ein harter Brexit und das damit einhergehe­nde Chaos vorerst vermieden. Allerdings würden die Briten dann, weil sie ja nach wie vor vollwertig­e Unionsbürg­er wären, bei der EU-Wahl Ende Mai mitmachen. Und über die parlamenta­rische Vertretung in einer Union mitentsche­iden, der sie gar nicht mehr angehören wollen. Eine kuriose Vorstellun­g.

Immer wieder werden vor allem in Großbritan­nien selbst Forderunge­n nach einer neuen Volksabsti­mmung über den Brexit laut. Dafür hatten sich unter anderen die ehemaligen Premiermin­ister Tony Blair und Gordon Brown ausgesproc­hen. Blair hatte bereits im Sommer gesagt, es gebe keinen anderen Ausweg aus dem Chaos als ein weiteres Referendum. Davon aber wollen Theresa May und erst recht nicht die Hardliner unter den Brexit-Befürworte­rn etwas wissen. Und Jeremy Corbyn, Chef der opposition­ellen Labour Party, setzt lieber auf Neuwahlen als auf ein neues Referendum.

Allerdings könnte der Druck der Straße steigen: So haben vor einem Monat rund 700.000 Menschen in London gegen den Brexit und für den Verbleib in der EU demonstrie­rt.

Solange es all die Unwägbarke­iten der britischen Innenpolit­ik gibt, setzt die restliche EU einen Schritt vor den anderen. Als nächstes im Terminkale­nder steht am Montag der Rat der EU-Außenminis­ter in Brüssel. Thema: Brexit und die Vorbereitu­ngen des Sondergipf­els.

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Sebastian Kurz, Bundeskanz­ler

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