Ein sibirischer Schüler provoziert den Kreml
In einer russischen Dorfschule reagiert eine Lehrerin scharf auf einen Putin-kritischen Spruch. Das Bildungsministerium gibt ihr Deckung.
Angefangen hatte es in einer Dorfschule bei Krasnojarsk, mitten in Sibirien. Ein Schüler aus der Klasse 10 hatte „Putin ist ein Dieb“auf die grüne Tafel geschrieben. Eine „abgrundtiefe Beleidigung“, befand die 57-jährige Geschichtelehrerin. „Zu Sowjetzeiten wäre man für so etwas erschossen worden“, wetterte sie in der Klasse, um den Vorfall zu klären.
Was die Lehrerin nicht bemerkt hatte: Jemand filmte die Szene der bizarren Belehrung und stellte das Video ins Internet. Seitdem häufen sich die Aufschriften „Putin ist ein Dieb“an den Schultafeln quer durch Russland.
Dieser Wettbewerb in den sozialen Medien spiegelt die Stimmung der Jugend im Land wider. Bereits im vergangenen Jahr waren Tausende Schüler auf die Straße gegangen, um ihren Unmut über das System Putin zu kundzutun.
Gerade bei den vom Blogger und Oppositionspolitiker Alexej Nawalny organisierten Protesten sind gewöhnlich viele Jugendliche dabei, die Polizei greift dabei regelmäßig auch gegen 14-Jährige hart durch. Der digitale „Putin-Dieb“-Flashmob ist lediglich eine andere Form der Demonstration von Unzufriedenheit. Statistisch betrachtet steht Russlands Jugend zwar mehrheitlich hinter dem harten Regiment im Kreml. Gleichzeitig hält aber die Mehrheit der Jugend das System für völlig korrumpiert.
In den Schulen treffen unterschiedliche Welten aufeinander. Das zeigt der Vorfall bei Krasnojarsk ganz besonders. Da steht die Geschichtelehrerin „sowjetischer Stählung“, wie das Bildungsministerium sie bezeichnete, und erzählt – umgeben von Schülern mit Smartphones – von ihren Idealen, wohl ebenfalls „sowjetischer Stählung“. Da sind Schüler, die keinen Wert auf die von durchsichtiger Propaganda durchsetzten Nachrichten im Fernsehen legen. Es sind Schüler, die sich Bestätigung im Netz suchen und sie auch unter Gleichgesinnten finden.
Manche von ihnen fordern ein anderes Russland. Diese Schüler sind zwar eine Minderheit, für das System aber durchaus unbequem. Daher sollen die Eltern herangezogen werden, wenn ihre minderjährigen Kinder bei politischen Demonstrationen gegen die Regierung ihre Meinung sagen. Mehrere Abgeordnete fordern ein Gesetz gegen die „politische Pädophilie“, wie sie das angebliche Werben von Kreml-Kritikern bei Kindern bezeichnen.
Russlands Schüler werden zwar auch heute noch streng hierarchisch und zu Gehorsam gegenüber Lehrern erzogen, doch sie wehren sich, auf ihre Art – die digitale. Erst vor zwei Tagen hat eine Grundschule in Russlands Fernem Osten eine Lehrerin vom Dienst suspendiert. Schüler hatten gefilmt, wie sie einen Zweitklassler schlägt, tritt, zu Boden wirft.
Die Geschichtelehrerin bei Krasnojarsk darf ihre Ansichten „sowjetischer Stählung“nach einer Überprüfung auch weiterhin im Klassenraum kundtun. Es sei eben ihre Prägung, befand das örtliche Bildungsministerium.
„Zu Sowjetzeiten wäre man für so etwas erschossen worden.“