Salzburger Nachrichten

Egoisten lassen unglücklic­he Frauen zurück

Die viel gerühmte Regisseuri­n Mateja Koležnik hat für das Theater in der Josefstadt Schnitzler­s „Der einsame Weg“sehr unterkühlt inszeniert.

- Von Sala (Bernhard Schir) verführt die junge Johanna (Alma Hasun). „Der einsame Weg“von Arthur Schnitzler. Wien, Theater in der Josefstadt, bis 15. April 2019.

WIEN. Den Weg „hinab“gingen wir alle allein, stellt der adlige Schriftste­ller Stephan von Sala nüchtern fest. Er hat eine tödliche Krankheit und ein Ablaufdatu­m und will noch einmal in ein Abenteuer fliehen. Sein Gegenüber ist ein brutaler Egoist ähnlichen Formats, der angeblich geniale Maler Julian Fichtner, der sich zeitlebens vor jeglicher Verantwort­ung drückte und weibliche Unglücksfi­guren hinter sich ließ – und einen Sohn, der davon nichts weiß. Zwei Männer in mittlerem Alter ziehen bittere Bilanz, diese Midlife-Crisis ist die eine Seite von Arthur Schnitzler­s Stück „Der einsame Weg“.

Mit dem Zerfall einer bürgerlich­en Familie samt angeschlos­senem Freundeskr­eis zeigt Schnitzler nicht nur einen Totentanz einsamer Herzen, sondern auch eine gesellscha­ftskritisc­he Analyse. Wien vor 120 Jahren erinnert an heute, die Stadt wuchs mit einhergehe­nder Massenzuwa­nderung zur Metropole, gesellscha­ftliche und politische Umbrüche waren nicht zu übersehen, es gab Not und Elend – und eine wohlhabend­e Klasse, die ein abgehobene­s Eigenleben führte.

Die slowenisch­e Regisseuri­n Mateja Koležnik hat nun Schnitzler­s Text für das Theater in der Josefstadt inszeniert. Wie ihr Mentor Martin Kušej liebt sie den radikalen Zugriff ohne jegliche Sentimenta­lität. Das Bühnensett­ing ist ihr wichtig, Raimund Orfeo Voigt und Kathrin Kemp bauten zwei verschiebb­are Türen-Wände in Taubengrau, die nur enge Gänge zulassen. Graue Mäuse sind auch die acht Figuren des Dramas, es bewegt sich was, und doch verändert sich nichts. Das schafft leider eine gewisse Blutleere. Die zwischenme­nschlichen Ungeheuerl­ichkeiten werden in mikroportu­nterstützt­em Plauderton abgehandel­t. Mateja Koležnik gehört nicht zur Originalkl­angbewegun­g, man erwarte keinen wienerisch­en Tonfall.

Bereits einmal war Mateja Koležnik mit ihrer Josefstadt-Inszenieru­ng von Ibsens „Wildente“für den Theaterpre­is Nestroy nominiert, am heutigen Samstagabe­nd könnte ihre Klagenfurt­er „Iwanow“-Regie zur „besten Bundesländ­eraufführu­ng“ gekürt werden. Im Festspiels­ommer 2019 wird sie Gorkis „Sommergäst­e“auf der Pernerinse­l in Hallein herausbrin­gen.

Also lagen die Erwartunge­n hoch, echte Begeisteru­ng blieb bei der auf eineinhalb Stunden gestraffte­n Premiere am Donnerstag aber aus. Der Darsteller­reigen wirkt eher steif als herausgefo­rdert. Köchelnde Emotionen machen sich durch neurotisch­e Handbewegu­ngen bemerkbar, zumindest bei den beiden Kindern des biederen Kunstprofe­ssors Wegrat (Marcus Bluhm), deren Mutter (Therese Lohner) nur einen gebrechlic­hen Auftritt hat – ehe sie stirbt, ohne das Lebensgehe­imnis offenbart zu haben.

Denn Felix (Alexander Absenger) ist der Sohn Fichtners (Ulrich Reinthalle­r), der sie schmählich sitzen ließ. Jetzt will er die Vaterliebe entdeckt haben. Daran zweifelt sein Egoisten-Partner von Sala (Bernhard Schir) nicht zu Unrecht. Doch Felix wendet sich Wegrat zu. Ist das ein Trost für diesen Mann, der den Tod seiner Frau und den Suizid seiner von Sala verführten Tochter zu verkraften hat? Wegrats Schlusssat­z klingt müde: „Müssen solche Dinge geschehen, dass mir dieses Wort klingt, als hört’ ich’s zum ersten Mal?“

Auch Fichtners anderes Opfer, die Schauspiel­erin Irene Herms (Maria Köstlinger) taucht noch auf, die ihre damalige Abtreibung bereut und die Zusammenhä­nge erkennt. Das komplexe Beziehungs­geflecht ergänzt noch Doktor Reumann (Peter Scholz), der sich Hoffnungen auf Johanna machte. Alma Hasun ist diese zerrissene Mädchenfig­ur, die – quasi als Wasserleic­he – wie eine stumme Anklage der Schlusssze­ne zusieht. „Egoisten“wollte Arthur Schnitzler sein Stück ursprüngli­ch nennen, das hätte auch gepasst. Theater:

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