Egoisten lassen unglückliche Frauen zurück
Die viel gerühmte Regisseurin Mateja Koležnik hat für das Theater in der Josefstadt Schnitzlers „Der einsame Weg“sehr unterkühlt inszeniert.
WIEN. Den Weg „hinab“gingen wir alle allein, stellt der adlige Schriftsteller Stephan von Sala nüchtern fest. Er hat eine tödliche Krankheit und ein Ablaufdatum und will noch einmal in ein Abenteuer fliehen. Sein Gegenüber ist ein brutaler Egoist ähnlichen Formats, der angeblich geniale Maler Julian Fichtner, der sich zeitlebens vor jeglicher Verantwortung drückte und weibliche Unglücksfiguren hinter sich ließ – und einen Sohn, der davon nichts weiß. Zwei Männer in mittlerem Alter ziehen bittere Bilanz, diese Midlife-Crisis ist die eine Seite von Arthur Schnitzlers Stück „Der einsame Weg“.
Mit dem Zerfall einer bürgerlichen Familie samt angeschlossenem Freundeskreis zeigt Schnitzler nicht nur einen Totentanz einsamer Herzen, sondern auch eine gesellschaftskritische Analyse. Wien vor 120 Jahren erinnert an heute, die Stadt wuchs mit einhergehender Massenzuwanderung zur Metropole, gesellschaftliche und politische Umbrüche waren nicht zu übersehen, es gab Not und Elend – und eine wohlhabende Klasse, die ein abgehobenes Eigenleben führte.
Die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik hat nun Schnitzlers Text für das Theater in der Josefstadt inszeniert. Wie ihr Mentor Martin Kušej liebt sie den radikalen Zugriff ohne jegliche Sentimentalität. Das Bühnensetting ist ihr wichtig, Raimund Orfeo Voigt und Kathrin Kemp bauten zwei verschiebbare Türen-Wände in Taubengrau, die nur enge Gänge zulassen. Graue Mäuse sind auch die acht Figuren des Dramas, es bewegt sich was, und doch verändert sich nichts. Das schafft leider eine gewisse Blutleere. Die zwischenmenschlichen Ungeheuerlichkeiten werden in mikroportunterstütztem Plauderton abgehandelt. Mateja Koležnik gehört nicht zur Originalklangbewegung, man erwarte keinen wienerischen Tonfall.
Bereits einmal war Mateja Koležnik mit ihrer Josefstadt-Inszenierung von Ibsens „Wildente“für den Theaterpreis Nestroy nominiert, am heutigen Samstagabend könnte ihre Klagenfurter „Iwanow“-Regie zur „besten Bundesländeraufführung“ gekürt werden. Im Festspielsommer 2019 wird sie Gorkis „Sommergäste“auf der Pernerinsel in Hallein herausbringen.
Also lagen die Erwartungen hoch, echte Begeisterung blieb bei der auf eineinhalb Stunden gestrafften Premiere am Donnerstag aber aus. Der Darstellerreigen wirkt eher steif als herausgefordert. Köchelnde Emotionen machen sich durch neurotische Handbewegungen bemerkbar, zumindest bei den beiden Kindern des biederen Kunstprofessors Wegrat (Marcus Bluhm), deren Mutter (Therese Lohner) nur einen gebrechlichen Auftritt hat – ehe sie stirbt, ohne das Lebensgeheimnis offenbart zu haben.
Denn Felix (Alexander Absenger) ist der Sohn Fichtners (Ulrich Reinthaller), der sie schmählich sitzen ließ. Jetzt will er die Vaterliebe entdeckt haben. Daran zweifelt sein Egoisten-Partner von Sala (Bernhard Schir) nicht zu Unrecht. Doch Felix wendet sich Wegrat zu. Ist das ein Trost für diesen Mann, der den Tod seiner Frau und den Suizid seiner von Sala verführten Tochter zu verkraften hat? Wegrats Schlusssatz klingt müde: „Müssen solche Dinge geschehen, dass mir dieses Wort klingt, als hört’ ich’s zum ersten Mal?“
Auch Fichtners anderes Opfer, die Schauspielerin Irene Herms (Maria Köstlinger) taucht noch auf, die ihre damalige Abtreibung bereut und die Zusammenhänge erkennt. Das komplexe Beziehungsgeflecht ergänzt noch Doktor Reumann (Peter Scholz), der sich Hoffnungen auf Johanna machte. Alma Hasun ist diese zerrissene Mädchenfigur, die – quasi als Wasserleiche – wie eine stumme Anklage der Schlussszene zusieht. „Egoisten“wollte Arthur Schnitzler sein Stück ursprünglich nennen, das hätte auch gepasst. Theater: