Brutale Polizisten bleiben unbestraft
Die Ermittlungen gegen gewaltausübende Exekutivbeamte werden in der Regel von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Ist diese Praxis dem Korpsgeist geschuldet oder sind die Einsätze der Polizisten wirklich immer ordnungsgemäß?
WIEN. Misshandlungsanzeigen gegen Polizisten werden nach gängiger Praxis von den Staatsanwaltschaften eingestellt, die Fälle werden fast ausnahmslos nicht einmal gerichtsanhängig. Das hat eine Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES) unter der Leitung der Wiener Strafrechtsprofessorin Susanne Reindl-Krauskopf ergeben, die am Freitag im Justizministerium vorgestellt wurde.
Das Forschungsinstitut untersuchte insgesamt 1518 Vorfälle in Wien und Salzburg in den Jahren 2012 bis 2015. In Salzburg wurden überhaupt alle 233 Fälle im Ermittlungsstadium eingestellt, in Wien landeten sieben Fälle vor Gericht, wo es dann in erster Instanz durchwegs zu Freisprüchen kam.
Christian Pilnacek, Generalsekretär im Justizministerium, sagte dazu: „Das Ergebnis mag nicht befriedigend sein. Die Untersuchung zeigt, dass keine strafrechtlichen Vorwürfe gegen Exekutivbeamte erhoben werden können.“Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International, meinte kritisch: „Das Ergebnis dieser Studie spiegelt mit Sicherheit nicht die Realität wider. Das kann man völlig klar und eindeutig sagen.“
Denn wiederholt wurden in den vergangenen Jahren sogar Videoaufnahmen von Eskalationen bei Polizeieinsätzen den Medien zugespielt. Strafrechtliche Konsequenzen hatte ein Fehlverhalten der Beamten praktisch nie. Im Gegenteil: In den meisten Fällen von überschießender Gewaltanwendung durch Polizisten wird sofort der Beschwerdeführer wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angezeigt. Und dann auch gerichtlich verfolgt. Doch diese Problematik wurde nicht näher untersucht.
Reindl-Krauskopf zufolge ist der typische Beamte, der in Misshandlungsverdacht gerät, männlich und zwischen 18 und 34 Jahre alt. Nur fünf Prozent gehören Sondereinheiten wie Wega oder Cobra an. Die untersuchungswürdigen Vorgänge spielen sich meist zwischen 18 Uhr und 6 Uhr früh ab. Der typische Beschwerdeführer ist ebenfalls männlich und im selben Alter wie die Polizisten. 60 Prozent sind Österreicher oder EU-Bürger, zehn Prozent afrikanischer Herkunft. 70 Prozent der Beschwerdeführer stehen demnach zum Zeitpunkt des Vorfalls unter dem Einfluss von Alkohol, illegalen Drogen oder sind psychisch beeinträchtigt.
Das deckt sich auch mit den Erfahrungen des Menschenrechtsexperten Patzelt: „Es krankt nicht bei den besonders schwierigen Einsätzen, sondern bei jenen, wo die Polizei sozialarbeiterisch gefordert wäre“, beim Umgang mit sozialen Randgruppen wie Obdachlosen oder Drogenabhängigen.
Gerade bei „Bereitschaftseinheiten“sollten erfahrene, kompetente Beamte agieren, stattdessen würden junge Polizisten eingesetzt, „die wenig Erfahrung haben, um deeskalierend heikle Situationen lösen zu können“, so Patzelt. Für ihn fehlt eine unabhängige Stelle als Regulativ: „Die Polizei müsste primär gegen sich selbst ermitteln. Und die Staatsanwälte sind wiederum bei den Ermittlungen personell auf die Polizei angewiesen.“
Laut Pilnacek zeigte sich 2017 ein etwas anderes Bild: Bei 509 Misshandlungsanzeigen gegen Polizisten kamen neun Fälle vor Gericht und es gab acht Schuldsprüche.