Salzburger Nachrichten

Brexit – als wär’s ein Stück von William Shakespear­e

Die Splendid Isolation, die die Briten zum nationalen Leitmotiv gemacht haben, könnte sich bald als nicht so glänzend erweisen.

- WWW.SN.AT/WIENS

Es war zweifellos die Woche der Theresa May. Die lief zwar nicht nach ihrem Geschmack, sie hätte sich von ihrer Partei wohl mehr Loyalität erwartet. Am Donnerstag, dem Mayday der britischen Innenpolit­ik, ging über dem Amtssitz der Premiermin­isterin in 10 Downing Street ein politische­s Gewitter nieder. Doch May zeigte sich wetterfest und trotzte ihren Gegnern.

Sie wirkt angeschlag­en, aber geschlagen gibt sie sich noch nicht. Aus gutem Grund, denn die Politik ist reich an ironischen Volten. Alles begann ja mit dem Satz: „Kein Vertrag ist besser als ein schlechter Vertrag.“Diese Losung gab die politische Elite im Vereinigte­n Königreich nach dem unheilvoll­en Referendum über einen Austritt aus der EU aus. Nach langen und zähen Verhandlun­gen sind die Briten, die sich vom Kontinent lossagen wollen, in der Realität angekommen und müssen sich eingestehe­n: „Auch ein nicht so guter Vertrag ist immer noch besser als gar kein Vertrag.“

Für die Brexit-Hardliner ist das nicht zu schlucken. Gerade die in den Reihen der Konservati­ven finden sich plötzlich in einer Sackgasse wieder. Eine Ablehnung der Pläne von May, an denen sie kein gutes Haar ließen, könnte zum Schuss ins eigene Knie werden. Die Chance, in neuen Verhandlun­gen mit der EU, sofern sich diese überhaupt darauf einließe, einen besseren Deal zu erzielen, geht gegen null. Knall auf Fall, also ohne eine Vereinbaru­ng über die künftigen Beziehunge­n aus der EU auszutrete­n, täte der britischen Wirtschaft und damit den Briten kurzfristi­g so weh, dass sich jede Regierung davor hüten wird.

Lässt man es tatsächlic­h auf den Sturz von May ankommen, sind Neuwahlen wohl unvermeidl­ich. Dann steigt aber die Wahrschein­lichkeit auf ein zweites Referendum. Am Ende könnten sich all jene, die den von May ausgehande­lten „Soft Brexit“verteufeln, in der Situation wiederfind­en, dass Brexit plötzlich für „Brake for the exit“steht. Es mag so aussehen, als hätte May derzeit schlechte Karten, aber das Blatt könnte sich rasch zu ihren Gunsten wenden. Und die Brexit-Anhänger unter den Tories, die derzeit mit aller Kraft am Stuhl ihrer Parteichef­in sägen, könnten bald einsehen müssen, dass „der schlechtes­te Deal immer noch besser ist als ein zweites Referendum“.

Ein britischer Politanaly­st sprach von einem „Chaos in Shakespear­e’schen Dimensione­n“. Da könnte er recht haben. Beim Volksdicht­er William Shakespear­e ist bekanntlic­h für jeden etwas dabei. Für die innerparte­ilichen Gegner von Theresa May findet sich in „Heinrich VI.“der Satz: „Ich mag durch andrer Fall nicht Größe suchen.“Und die Premiermin­isterin könnte ausgerechn­et in „King Lear“Trost finden, wo es heißt: „Ich bin nicht die Erste, die, Gutes wollend, dulden muss das Schwerste.“

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Richard Wiens

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