Kompromisse haben keinen Platz mehr
Wie wichtig ist das erste Rennen und wie kann man sich auf Anhieb überwinden, alles zu geben? Für mich war der Saisonstart gedanklich oft schon ein WM-Rennen. Wer hat diese Alles-oder-nichts-Mentalität?
Während wir bei uns leider noch auf grüne Wiesen blicken müssen, dürfen wir uns am Wochenende auf ein bisschen „Winterfeeling“via Fernsehen freuen. Die Slalomsaison beginnt mit den Rennen in Levi und ich bin schon sehr gespannt. Das gesamte österreichische Slalomteam ist fit und somit stehen die ersten Vorzeichen schon einmal gut.
Einen guten Start in die neue Saison hinzulegen, das wünscht sich natürlich jeder. Ich blicke auf meine Rennen in Levi immer mit etwas gemischten Gefühlen zurück. Ich konnte das – mittlerweile schon zum Klassiker gewordene – Rennen zwar zwei Mal gewinnen, meine letzte Erinnerung daran ist allerdings etwas vom Winde verweht … Was nach einem nicht so erfolgreichen Start gern erfolgt, sind Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit, daran ob das Training, welches man im Sommer absolviert hat, wirklich Früchte tragen wird und ob das getestete Material, für das man sich letztendlich entschieden hat, schon das Richtige ist. Es folgen wieder einige Trainings ohne ein erstes Erfolgserlebnis, was es natürlich schwieriger macht, richtig locker zu sein und voller Selbstvertrauen in das nächste Rennen zu starten. Das alles wünsche ich unseren Rennläufern an diesem Wochenende nicht.
Der Hang in Levi ist von der Charakteristik her nicht allzu schwer, aber es ist schwer, schnell zu sein. Vom Start weg geht es sehr flach in die ersten Tore hinein. Das heißt, man muss dort gleich alle Kraft hineinlegen, um möglichst schnell zu beschleunigen. Einfach mal locker in die Saison starten und in den ersten Toren das Gefühl suchen ist sicher auch eine Taktik. In Levi bekommt man dadurch in der Regel allerdings schon auf den ersten Metern viel Rückstand aufgebrummt.
Loslassen, Spaß haben und das machen, was man im Training tausend Mal geübt hat, ist die Devise. Die Nervosität des ersten internationalen Vergleichs positiv für sich nützen und einfach nur endlich dieses Rennen fahren wollen. Es gilt keine Zurückhaltung, keine Angst vor Fehlern zu haben und vor allem keinen Gedanken daran zu verschwenden, was wohl beim Abschwingen im Ziel auf der Anzeigetafel stehen wird.
Ich habe mich bei Rennen oftmals in das Gefühl eines Olympia- oder Weltmeisterschaftsrennens hineinversetzt. Es gibt nur diese eine Chance und es zählt vor allem nur das Metall, das einem danach um den Hals gehängt wird oder eben nicht. Das erhöht den psychischen Druck zwar nochmal enorm. Mich hat es aber auf ein Level gebracht, auf dem ich wirklich von allem rundherum und auch von dem, was bei den ersten Rennen in meinem Kopf vorging, frei war. Es gibt kein Denken an möglichst viele Weltcuppunkte mehr und auch die Platzierung spielt letzten Endes keine Rolle. Man will einfach nur alles geben, in seinem Tun voll und ganz aufgehen und seine Skispitzen möglichst Richtung Tal schauen lassen. Man kennt das im Slalom von Mikaela Shiffrin, Marcel Hirscher und Henrik Kristoffersen. Sie schaffen es in der Regel, von Beginn an voll auf Angriff zu fahren und keine Kompromisse einzugehen. Diese drei sind aber natürlich nicht die Einzigen, die das können. Bei ihnen führte es dank ihrer ausgereiften und stabilen Technik in den letzten Jahren am häufigsten zum Erfolg.
Bei den Herren ist es ein sehr großes Feld an Rennläufern, welche 100 Prozent geben und keine Zurückhaltung kennen. Bei den Damen gibt es auch einige Läuferinnen, die das können. Sie müssen es sich nur zutrauen.
So auch meine Schwester Bernadette. Sie hat letztes Jahr schon einige tolle Läufe hingelegt und damit gezeigt, dass sie ganz vorn sein kann. Beim olympischen Slalom fuhr sie völlig entfesselt. Leider hat ihr damals ein Fehler kurz vor dem Ziel einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das ist nun aber Geschichte und für sie längst abgehakt. Was sie mitnehmen konnte, ist das Gefühl und die Einstellung, die sie während dieses Laufs hatte.
Wenn die Athletinnen und Athleten das in vielen Rennen so umsetzen können, dürfen wir uns auf eine spannende Saison und so manch enges Rennen mit möglicherweise auch neuen Siegergesichtern freuen. SPORT@SN.AT