Welch schöner Garten
„Quel beau jardin!“, rief der Sonnenkönig, als ihm das Elsass zufiel. Und dachte dabei noch gar nicht an dessen kulinarische wie kulturelle Schätze. Und auch Goethe pries das Straßburger Liebfrauenmünster als gotische Spitzenleistung. Tatsächlich gleicht das Maßwerk dieser Cathédrale Nôtre-Dame filigranen Klöppelspitzen. Neben dem mächtigen Gesamtbau sind viele Details berühmt geworden: im Inneren etwa der Engelspfeiler, am Südtor die Statuen von Ecclesia und Synagoge, oder im Gewände des rechten Westportals die Gruppe der klugen und der törichten Jungfrauen. Hier verführt zur Abwechslung mal ein Mann mit Apfel die Damen. Zuweilen ging es in der Hauptstadt des Elsass auch derb zu. Im Gerberviertel etwa, wo die Abdecker mit ihren Tierhäuten die Nasen der Anwohner strapazierten. Und wo leichte Mädchen den Kavalieren ihre Dienste anboten. Praktischerweise setzte man dann auch gleich das Syphilisspital in diese verkehrsreiche Gegend. Und da hauptsächlich französische Soldaten dieses frequentiert haben sollen, nannte der Volksmund erst das Krankenhaus und danach das ganze Quartier „La Petite France“.
Diese Zeiten sind längst vorbei. KleinFrankreich ist saniert und herausgeputzt und heute so pittoresk, dass kein Tourist auf einen Bummel durch seine romantischen Gassen mit den Fachwerkhäusern verzichten mag. Bequemer freilich ist es, Straßburg im Bâteau-Mouche an sich vorbeiziehen zu lassen. Diese Ausflugsboote schippern auf der Ill bis zum Europäischen Parlament. Die Erklärungen erhält man während der entspannenden Fahrt via Kopfhörer in 15 Sprachen, natürlich auch in fernöstlichen – und in Elsässerditsch.
Und das ist ein köstliches Idiom, besonders wenn es kombiniert mit Französisch daherkommt. Da steht dann Baeckeoffe aux trois viandes auf der Speisekarte, ein (früher im Bäckerofen gegarter) Eintopf aus Rind-, Lamm- und Schweinefleisch mit Spätzle maison, also hausgemacht. Herzig klingt auch Le Presskopf. „Nationalgericht“aber ist die Choucroute garnie à l’Alsacienne, der Elsässische Bauernschmaus: Auf einem Berg Sauerkraut türmen sich Unmengen von G’selchtem, Wurst und Speck, alles total „schweinisch“. Wen wundert’s, dass diese Küche als „boche“gilt, also – freundlich übersetzt – als recht schwer.
Der Straßburger Petite France entspricht in Colmar Klein-Venedig. Aber neben fachwerkgesäumten Kanälen besitzt diese Stadt einen weiteren Schatz: Matthias Grünewalds Isenheimer Altar, der in der Kapelle des aufgelassenen Dominikanerinnenklosters gezeigt wird. Kaum ein Betrachter kann sich der elementaren Wucht der zentralen Kreuzigungsszene entziehen. Schmerzverzerrt hängt der geschundene Christus am sich biegenden Querbalken. Zu seinen Füßen betrauert von der Gottesmutter, Maria Magdalena und den beiden Johannes.
Bald kommt nun wieder die Saison von Le Berawecka. Aber nicht Beeren stecken in ihm, wie man vielleicht glauben könnte, sondern Birnen, handelt es sich doch um Kletzenbrot. Noch deutlicher verweisen Les Winachtsbredele, Weihnachtskekse also, auf des Elsass fünfte Jahreszeit, den Advent. Kirchenglocken läuten die Abende ein, Tausende Zusatzlichter erhellen die Plätze, Punsch und gebratene Äpfel verströmen ihre Düfte, Tannenbäume und Holzkrippen suchen Familienanschluss, und mit melancholischem Blechklang rufen Turmbläser zur Besinnung.
Wieder wird es heißen: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat den stimmungsvollsten „Christkindlesmärik“. Die Hauptstadt mit Wandteppichen im Münster und Kunsthandwerkständen? Oder Sélestat, wo der Weihnachtsbaum erfunden worden sein soll? Oder Colmar, das für Weihnachtssterne steht, weil in seiner Nähe Vauban die sternförmige Festung Neubreisach baute? Oder Mulhouse mit seinem alljährlich eigens entworfenen Weihnachtstoff? Nicht zu vergessen die malerischen Dörfer an der elsässischen Weinstraße wie Ribeauvillé, Riquewihr, Kaysersberg oder Eguisheim, die sich ebenfalls für Noël aufbrezeln.
Apropos Mühlhausen: Die Stadt blickt auf eine lange Textiltradition zurück. Ihre größte Attraktion aber hängt – Ironie des Schicksals – mit der Pleite eines Textilbetriebs zusammen. Dessen Eigentümer, die Brüder Schlumpf, investierten nämlich ihr ganzes Vermögen samt Firmenkasse in den Ankauf historischer Autos, bis es krachte. Das Brüderpaar floh in die nahe Schweiz, die Collection Schlumpf hingegen blieb im Lande. Als Cité de l’Automobile präsentiert sie heute auf 25.000 Quadratmetern mehr als 400 Oldtimer 97 verschiedener Marken.
Doyen der Sammlung ist ein Dampfkraftwagen „Jacquot“aus 1878, daneben glänzen Fabrikate von Panhard, Peugeot, De Dion und Benz aus dem Fin de Siècle. Höhepunkt der Schau: 100 elegante Luxusschlitten, die Ettore Bugatti in der Zwischenkriegszeit baute, mit dem wahrhaft königlichen Achtzylinder „Royale“als Spitzenmodell. Und auch eine „Ente“, also ein Citroën 2CV. Hobbypiloten müssen jedoch noch ein wenig warten – im Sommer dürfen sie im angeschlossenen Autodrom mit einigen Oldtimern sogar selbst ein paar Runden drehen.