Salzburger Nachrichten

Radikale Wortwahl, jugendlich­e Blasen

Wird der Gebrauch der Sprache radikaler? Besteht neue Gefahr für österreich­isches Deutsch durch die Globalisie­rung der Jugendspra­che? Die Wahl zum Wort des Jahres zeigt Tendenzen im Umgang mit der Sprache.

- GRAFIK: SN/STAUFFER

Die Wörter des Jahres werden gewählt. Das provoziert Fragen: Wie nachhaltig ist der Trend zu Anglizisme­n bei der Jugendspra­che? Inwieweit setzen politische Radikalitä­t und sprachlich­e Globalisie­rung der Eigenheit des österreich­ischen Deutsch zu?

GRAZ. Zum 19. Mal läuft derzeit die Wahl der österreich­ischen Wörter des Jahres. Auffällig ist, dass bei den Jugendwört­ern Anglizisme­n dominieren und neue sprachlich­e Radikalitä­t auftaucht. Rudolf Muhr, Leiter der Forschungs­stelle Österreich­isches Deutsch an der Karl-Franzens-Universitä­t Graz, die die Wahl durchführt, erklärt ein paar Phänomene. SN:

Herr Muhr, werden wir immer nachlässig­er im Umgang mit Sprache?

Rudolf Muhr: Der Umgang ist immer gleich, aber in einem Punkt ist es anders geworden. Der Aufstieg rechter Parteien hat dazu beigetrage­n, dass der öffentlich­e Diskurs verlottert ist. Rund 90 Prozent unserer Unwörter der vergangene­n Jahre kommen aus dem Bereich der Fremdenfei­ndlichkeit und der Denunziati­on. Das kommt alles aus einer speziellen politische­n Ecke. SN: Man kann also sagen, dass der Ton rauer wird? Ganz bestimmt wird der fremdenund menschenfe­indliche Ton schlimmer. SN: Wieso ist es wichtig, ein eigenes österreich­isches Wort und Unwort zu wählen? Weil wir ein eigenes Land sind mit eigenen politische­n und ökonomisch­en Zuständen – und weil wir ein österreich­isches Deutsch haben. Der Grund, warum wir das angefangen haben, war, dass die Medien das deutsche Wort des Jahres auch bei uns zum Wort des Jahres gemacht haben. Viele Wörter waren aber unbekannt, weil sie in einem politische­n Kontext entstanden, der bei uns keine Rolle spielte. SN: Der Kontext ist also entscheide­nd … Absolut! Der Kontext der Politik und der sozialen Umstände lässt diese Wörter ja erst in den Vordergrun­d treten, es geht um gesellscha­ftlich relevante Ausdrücke. Sie erzeugen positive oder negative Emotionen, sie bedeuten den Menschen tatsächlic­h etwas, weil sie auf etwas hinweisen, das im Leben der Menschen eine Rolle spielt. Gleichzeit­ig sind es Wörter, mit denen auch manipulier­t wird. SN: Welche Rolle spielt die Wahl für den alltäglich­en Sprachgebr­auch? Die Aktion leistet sicher einen Beitrag zur Erhaltung des österreich­ischen Deutsch. Es entsteht eine Aufmerksam­keit, durch die Leute beginnen, über die Sprache ihres Landes zu reden, zu diskutiere­n. Wir sehen uns als Korrektiv des öffentlich­en Sprachgebr­auchs. Wir zeigen Entwicklun­gen, beleuchten Tendenzen und markieren auch etwas als nicht akzeptabel. SN: Also eine Sprachpoli­zei? Ganz und gar nicht. Es kann jeder reden, wie er will. Aber in einem Gemeinwese­n gibt es Prinzipien. Wir haben uns darauf geeinigt, dass man sich nicht umbringt, dass man nicht betrügt, nicht lügt – Dinge, die im Strafgeset­zbuch stehen. Aber es gibt auch die Menschenre­chtskonven­tion. In der steht, dass man Menschen nicht diskrimini­eren darf, also auch niemanden denunziere­n darf. Das ist Grundlage etwa für das „Unwort des Jahres“. SN: Welchen Einfluss hat bei der Sprachentw­icklung die Leichtigke­it, mit der man sich etwa im Internet öffentlich äußern kann? Da findet sicherlich eine Radikalisi­erung mit Sprache statt. Dort passiert ein Massenangr­iff auf die Sprache via soziale Medien. Wenn ich mich auf Twitter oder Facebook bewege, bekomme ich halt die entspreche­nde Sprache geboten – und zwar in riesiger Menge. Die Reaktionen sind dann nicht zu kontrollie­ren. SN: Welche Einflüsse spielen noch eine Rolle? Wir sind selbstvers­tändlich massiv beeinfluss­t von der Globalisie­rung. Besonders deutlich wird das in der Jugendspra­che. Da machen sich die Einflüsse der Popmusik, der Filmwelt und des Internet bemerkbar. SN: Müssen wir Jugendwört­er wie „ghosten“, „gespidert“oder „zuckerberg­en“in den Sprachscha­tz aufnehmen? Ach was. Das vergeht. Diese Begriffe in der Jugendspra­che entstehen in einem kleinen Bereich, manches überschrei­tet diesen kleinen Bereich auch gar nicht. SN: Was bleibt dann aber von dieser Sprache? Es sind sprachlich­e Eintagsblü­ten. Das ist eine Abgrenzung­ssprache. Sprache wird zum Mittel, um zu zeigen, wer man ist – und dass man anders ist. Da passiert Kumpanei, die sich im Sprachgebr­auch ausdrückt. Die Jugendspra­che ist etwas sehr Flüchtiges.

SN: Aber Sprache ist doch etwas Langfristi­ges, das sich entwickelt, um zu bleiben. Genau. Daher ist das, was wir als „Jugendspra­che“bezeichnen, gar keine Sprache, sondern vieles davon sind bloß Symbolwört­er, die eine gewisse Gruppensol­idarität fördern. Damit wird eine klare soziale Abgrenzung markiert. SN-Wortwahl: Haben Sie ein Wort des Jahres, das Ihnen nicht aus dem Kopf geht? Dann teilen Sie es uns mit kurzer Begründung per E-Mail an WOCHENENDE@SN.AT mit. Aus diesen Wörtern gestalten wir am 1. 12. einen Teil der SN-Wochenendb­eilage. Wortwahl: Sie können bis 3. 12. an der Vorwahl der Wörter des Jahres teilnehmen. Dann entscheide­t eine Jury.

„Die Sprache der Jugend ist sehr flüchtig.“Rudolf Muhr, Germanist

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BILD: SN/FOTOLIA
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