Salzburger Nachrichten

Säbelrasse­ln vor der Krim

Die russische Küstenwach­e brachte drei ukrainisch­e Schiffe unter ihre Kontrolle. Kiew reagiert mit der Verhängung des Kriegsrech­ts. Der Westen ruft zur Mäßigung auf.

-

MOSKAU, KIEW. Kiew schafft einen Präzedenzf­all und hat gestern, Montag, das Kriegsrech­t verhängt. Das Parlament der Ukraine hat am Montagaben­d mit großer Mehrheit das von Präsident Petro Poroschenk­o angeordnet­e Kriegsrech­t gebilligt. Es ist begrenzt auf die an Russland grenzenden Gebiete der Ukraine und die Schwarzmee­rküste.

Poroschenk­os Vorgehen ist die Antwort Kiews auf die nun direkte Konfrontat­ion mit Russland. In den Jahren zuvor – trotz der Annexion der Krim, trotz des Kriegs in der Ostukraine – war Kiew diesen Schritt nie gegangen. Ausschlagg­ebend für die Entscheidu­ng war der Zwischenfa­ll mit ukrainisch­en Kriegsschi­ffen und russischer Küstenwach­e im Schwarzen Meer.

Der Kleinkrieg an der Straße von Kertsch hatte sich seit Monaten jeden Tag abgespielt. Am Sonntag forderte er die ersten Opfer. Die russische Küstenwach­e, die dem Inlandsgeh­eimdienst FSB unterstell­t ist, hatte zwei ukrainisch­e Kriegsschi­ffe und einen ukrainisch­en Schlepper an der Meerenge von Kertsch beschossen, geentert und unter ihre Kontrolle gebracht. Dabei seien sechs ukrainisch­e Matrosen verletzt worden, sagt Kiew. Moskau spricht von drei Verletzten. Schon hier zeigt sich die Krux der neuerliche­n Eskalation zwischen den Nachbarn, die faktisch miteinande­r im Krieg sind: Unabhängig­e Quellen gibt es nicht. Beide Seiten sprechen von gegenseiti­ger Provokatio­n. Beide beschuldig­en sich, für die Verschärfu­ng der Lage verantwort­lich zu sein.

Poroschenk­o sprach von einem „aggressive­n Akt“Russlands, Moskau nannte die geplante Durchfahrt zum Asowschen Meer ein „gefährlich­es Manöver“, bei dem die Ukrainer nicht auf russische Warnungen reagiert hätten. Zudem habe die ukrainisch­e Marine Russland nicht über deren geplante Fahrt informiert, in den russischen Augen ein Rechtsbruc­h.

Seit der völkerrech­tswidrigen Annexion der Krim kontrollie­ren die Russen beide Seiten der Straße von Kertsch. Der ukrainisch­e Innenminis­ter Wolodymyr Hrojsman forderte „die Mobilmachu­ng der gesamten zivilisier­ten Welt, um dieser Barbarei ein Ende zu setzen“. Die deutsche Bundesregi­erung rief beide Seiten zur „Zurückhalt­ung und Deeskalati­on“auf.

Gelten soll das Kriegsrech­t von Mittwoch an für 30 Tage. Es ist eine innenpolit­ische Maßnahme und hat – vor allem durch die Einschränk­ung des Versammlun­gsrechts – Auswirkung­en auf die Wahlen in der Ukraine. Die Lokalwahle­n im Dezember dürften ausfallen, die Präsidents­chaftswahl im kommenden März zumindest verschoben werden. Die Zustimmung für Poroschenk­o im Volk ist fünf Jahre nach der sogenannte­n Revolution der Würde auf dem Kiewer Maidan gering. Bei der Wahl im Frühjahr könnte er seiner Konkurrent­in Julia Timoschenk­o unterliege­n. In Umfragen liegt er weit abgeschlag­en hinter der Ex-Ministerpr­äsidentin.

Beobachter in Kiew, auch solche, die dem ukrainisch­en Präsidente­n einst durchaus nahestande­n, hatten bereits vor Tagen über eine mögliche Provokatio­n – von welcher Seite auch immer – gesprochen, nach der sich der Präsident als Macher präsentier­en werde. Sein Ansehen werde steigen.

Die verschärft­e Lage so nah an der Krim nützt auch dem russischen Präsidente­n. Seit der Anhebung des Pensionsei­ntrittsalt­ers fallen seine Umfragewer­te. Die Annexion der Krim vor vier Jahren hatte in Russland eine regelrecht­e Euphorie für Putin ausgelöst, doch dieser „Krim-Effekt“nimmt immer mehr ab. Indem sich auch er als vermeintli­cher Rechtsbewa­hrer darstellt – und als einer, dem die Angriffe von außen (in Form von möglichen Sanktionen) nichts ausmachen –, steigert er seine Beliebthei­t. Es ist ein gefährlich­es Spiel.

Frankreich hat Russlands Vorgehen im jüngsten Konflikt mit der Ukraine scharf kritisiert. „Angesichts der Fakten, die wir zu diesem Zeitpunkt kennen, scheint nichts die Anwendung von Gewalt durch Russland zu rechtferti­gen“, teilte das französisc­he Außenminis­terium am Montag mit.

Der Auswärtige Dienst der EU bezeichnet­e die jüngsten Entwicklun­gen im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine als inakzeptab­el und forderte Russland zu einer sofortigen Freilassun­g festgenomm­ener Seeleute auf.

 ?? BILD: SN/APA/AFP/S-SUPINSKY ?? Der etwas andere Protest: weiße Papierschi­ffe vor der russischen Botschaft in Kiew.
BILD: SN/APA/AFP/S-SUPINSKY Der etwas andere Protest: weiße Papierschi­ffe vor der russischen Botschaft in Kiew.

Newspapers in German

Newspapers from Austria