Ein Prinz auf riskanter Reise
Vor dem G20-Gipfel in Buenos Aires lässt sich der saudische Kronprinz noch von befreundeten Ländern hofieren. In Argentinien erwartet ihn Ablehnung. Und vielleicht sogar ein Haftbefehl.
Das hat es bei den Treffen der 20 wichtigsten Industrieund Schwellenstaaten (G20) noch nicht gegeben: Ein Teilnehmer, der offen verdächtigt wird, einen Mord in Auftrag gegeben oder zumindest davon gewusst zu haben, sitzt mit den Mächtigsten der Welt an einem Tisch. Die Affäre um die Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi wird mit der Teilnahme des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MBS) beim G20-Gipfel am Freitag und Samstag in Argentinien allgegenwärtig sein. Mit seiner Teilnahme möchte der Kronprinz der ganzen Welt demonstrieren, dass er, was seine Person betrifft, den Mordfall Khashoggi für abgeschlossen betrachtet und nun wieder zur Tagesordnung übergeht.
Im Grunde steht nur US-Präsident Trump auf der Seite des saudischen Kronprinzen, der vom deutschen Geheimdienst als impulsiv und rachsüchtig beschrieben wird. Viele der anderen Staaten sind auf Distanz zu ihm gegangen. In Buenos Aires mit dabei: Präsident Recep Tayyip Erdoğan, in dessen Land Khashoggi getötet worden ist. Die Türkei treibt MBS mit ihren Ermittlungsergebnissen vor sich her. So wurden nun neue Details im Mordfall Khashoggi genannt. „Er wurde innerhalb von sieben Minuten getötet. Es war vorsätzlicher Mord“, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“. Er selbst habe sich die Tonaufnahmen angehört, die den Mord im saudischen Konsulat in Istanbul belegen sollen. „Es ist zu hören, wie der Gerichtsmediziner die anderen instruiert: Sie sollten Musik hören, während er den Körper zerteilt. Man merkt, dass er es genießt.“
Am Montag hatten die türkischen Ermittler zwei Luxusvillen eines Saudis in der Provinz Yalova südlich von Istanbul durchsucht. Die Zeitung „Hürriyet“berichtete am Dienstag, die beiden Villen gehörten einem „sehr engen Freund“des Kronprinzen.
Aber bevor es nach Argentinien geht, absolviert der 33-jährige Thronfolger noch eine Tour durch befreundete arabische Länder. Mit überschwänglichen Lobhudeleien ist er vorigen Freitag in Abu Dhabi, dem engsten Verbündeten des Wüstenkönigreiches, aufgenommen worden. Von Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi wurde er am Dienstag mit Prunk und Ehren empfangen. Weniger freundlich fiel der Empfang in Tunesien aus: Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, um gegen den Besuch zu protestieren. Ein riesiges Plakat zeigt den Kronprinzen mit einer Kettensäge.
Eine andere Menschenrechtsorganisation hat in Argentinien Anzeige gegen den saudischen Kronprinzen erstattet. MBS solle wegen der Folterung und Tötung von Jamal Khashoggi bei seiner Teilnahme am G20-Gipfel in Buenos Aires verhaftet werden, beantragte Human Rights Watch (HRW) am Montag bei einem Bundesgericht in der argentinischen Hauptstadt. Der Richter Ariel Lijo wies die Staatsanwaltschaft an, genau zu bestimmen, ob die Tötung Khashoggis im saudischen Konsulat in Istanbul in Buenos Aires geahndet werden könne. Argentinien habe das Universalitätsprinzip bei Folterungen und Kriegsverbrechen anerkannt, hieß es in einer Mitteilung von HRW. Nach diesem Prinzip könne die Justiz Verbrechen dieser Art unabhängig vom Tatort und der Staatsbürgerschaft von Opfern oder Tätern verfolgen.
Und noch an einer anderen Front droht MBS Ungemach: Angesichts des Auftragsmords droht SaudiArabien die US-amerikanische Unterstützung für sein Atomprogramm zu verlieren. Riad hatte im Frühjahr bekannt gegeben, in den kommenden 20 Jahren 16 Atomkraftwerke bauen zu wollen. Das Uran dafür wolle man selbst aufbereiten, hieß es. Eine Überprüfung durch die Internationale Atomenergiebehörde in Wien lehnt der Wüstenstaat laut Recherchen der „New York Times“ab. „Einem Land, das in seinen Botschaftsgebäuden mit Knochensägen hantiert, können wir nicht vertrauen und erst recht keine Nukleartechnologie verkaufen“, zitiert die „New York Times“den demokratischen Kongressabgeordneten Brad Sherman.