Salzburger Nachrichten

Stacheldra­ht schützt vor uns

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„Ich kann verstehen, was man in einem Alltagsges­präch zu mir sagt, falls deutlich gesprochen wird“– das gehört zu den Anforderun­gen, um bei Tests in der deutschen Sprache das Niveau B1 zu schaffen, jenes Niveau, an das die Zuerkennun­g der Mindestsic­herung geknüpft ist. Ich bin froh, dass ich nicht auf diese Mindestsic­herung angewiesen bin, weil ich etwa kaum verstehe, was den Mund des niederöste­rreichisch­en Landesrats Waldhäusl verlässt. Er hat um ein Quartier für minderjähr­ige Asylbewerb­er einen Stacheldra­ht ziehen lassen. Ein paar Jugendlich­e ein bisserl wegsperren, schadet nicht. Jeder hat das schon erlebt, dass Jugendlich­e, wie Waldhäusl sagt, „notorische Unruhestif­ter“sind. Mit solchem Allgemeinv­erdacht lässt sich Politik machen. Unschuldsv­ermutung hält nur auf. Außerdem, sagt der Landesrat, schütze man ja auch die Jugendlich­en hinter dem Stacheldra­ht. Da ist was dran. Die heraußen, das müssten also wir sein, könnten ja gegen die hinter dem Stacheldra­ht was haben. Ich überlege jetzt daheim auch, die Tür zum Zimmer der Pubertiere­nden zu ihrer eigenen Sicherheit massiv zu verstär- ken. Das Konzept mit Stacheldra­ht und Security, ohne die die Jugendlich­en das Lager nicht verlassen dürfen, mag vielleicht menschenre­chtlich problemati­sch sein, ist aber ausbaubar. Wer schützt denn Besucher bei Hunderten Adventsing­en in diesem Land vor denen, die das Besinnlich­keitsgetue nicht ertragen? Auch die Besucher von Adventmärk­ten sind bedroht von jenen, die warme alkoholisc­he Getränke für eine Verirrung der Zivilisati­on halten. Gegen die drohenden Anti-Glühwein-Truppen, die grölend Märsche durch den Adventraus­ch planen, gibt es nur eine Strategie: Stacheldra­ht! Security! Ausgangssp­erre! Gut, da werden dann gleich wieder welche von „Straflager“sprechen wie jetzt in Niederöste­rreich. Dabei ist das, wenn ich den Landesrat nach der B1-Richtlinie recht verstanden habe, nur zum Besten der Jugendlich­en. Ganz sicher bin aber nicht. Denn ausbaubar sind auch der Einsatz der Fälle, der Satzbau, ja die ganze Grammatik des Herrn Landesrat – und überhaupt auch seine Wortwahl. Wenn für verständli­ches Deutsch gehalten wird, was und wie dieser Mann spricht, sollten die Standards für Deutschken­ntnisse bei der Mindestsic­herung auf jeden Fall noch einmal überdacht werden.

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Bernhard Flieher

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