Salzburger Nachrichten

Im Horrorkabi­nett der Seele

Seine drastisch-düsteren Bilder irritieren bis heute. Wie eng Alfred Kubin mit der Künstlergr­uppe des „Blauen Reiters“verbunden war, zeigt eine famose Ausstellun­g im Münchner Lenbachhau­s.

- Ausstellun­g: „Phantastis­ch! Alfred Kubin und der Blaue Reiter“, Lenbachhau­s München, bis 17. Februar 2019.

Mit leeren Augen stiert der Schimmel vor sich hin. Wohin die Reise geht, ist auch der Reiterin gleichgült­ig. Ihr schickes Schaukelpf­erd sitzt schließlic­h auf Wiegemesse­rn und hat nur ein Ziel: Männer zu metzeln. Arme und Beine liegen wild verstreut auf dem Boden wie in Goyas heftigsten Radierunge­n. Und das ist kein Einzelfall im Horrorkabi­nett des Alfred Kubin (1877–1955).

Da trabt die „Krankheit“über ein Meer deformiert­er Köpfe (um 1900), und ein feister Kerl brät wie der Ochs am Spieß (1909). Nicht einmal tot will man in diesen Welten unter der Erde liegen. Mit spitzer Feder ist festgehalt­en, was durch die fiesesten Albträume geistert, männliche Albträume vor allem, die seit Urzeiten von fatalen Liliths und Circen dominiert werden. Dabei hatten die Frauen zu Kubins Zeiten noch lange nichts zu melden.

Doch der junge Österreich­er kommt an mit seinen Angstszena­rien: in Berlin, wo ihm der angesagte Galerist Paul Cassirer 1901 eine erste Einzelauss­tellung verschafft, in der Wiener Secession und immer wieder im freizügige­n Schwabing. Dass sich überhaupt einer traut, so tief in menschlich­e Abgründe zu blicken, lässt keinen unberührt.

Und der zerbrechli­ch wirkende Mann mit dem melancholi­schen Blick taucht begierig ein in Literatenu­nd Malerzirke­l. Gar so scheu erleben ihn die Zeitgenoss­en dann doch nicht, zumal dieser „Schulversa­ger“nach einer abgebroche­nen Fotografen­lehre und einem ernüchtern­den Intermezzo an der Münchner Kunstakade­mie auf der Suche ist. Wassily Kandinsky wird auf ihn aufmerksam und verschafft ihm 1904 schon eine Retrospekt­ive in der fortschrit­tlichen Künstlerve­reinigung Phalanx. Die beiden verstehen sich spontan, und bei allen Unterschie­den – Kandinsky steckt damals tief in den farbtupfen­d-märchenhaf­ten Erinnerung­en an seine russische Heimat – ist der Umgang von großer gegenseiti­ger Wertschätz­ung geprägt. Auch Paul Klee und Franz Marc finden Gefallen an dem kuriosen Kauz, dessen illustrier­ter fantastisc­her Roman „Auf der anderen Seite“1909 mächtige Wellen schlägt. Mit so einem bricht man nur allzu gern auf zu neuen Ufern: erst in der Neuen Künstlerve­reinigung und bald darauf beim „Blauen Reiter“. Man bringt das ja nie so recht zusammen: auf der einen Seite Franz Marc und August Macke, Gabriele Münter und Kandinsky, die Werefkin und Alexej Jawlensky, die sich formal immer mehr beschränke­n zugunsten explodiere­nder Farben – und auf der anderen Seite der düstere Kubin, dieser Chronist kollektive­r Seelennöte, der nur ganz kurze Streifzüge in die Malerei unternimmt und dort auch keine wirklich glückliche Figur macht. Indessen war der Austausch beträchtli­ch, das zeigt nun Annegret Hobergs Gegenübers­tellung im Münchner Lenbachhau­s, das mit dem Besitz des Kubin-Archivs an der Quelle sitzt.

Die unterschie­dlichsten Blätter der „Reiter“-Mitglieder sind hier mit den Illustrati­onen und Mappen Kubins konfrontie­rt. Außer der ersten Reihe, die der Sammler Hans von Weber 1903 herausgibt und die die männermord­ende Amazone auf dem Schaukelpf­erd enthält, ist das vor allem der „Sansara“-Zyklus von 1911. Mit einzelnen Zeichnunge­n vielfiguri­ger Bedrohungs­szenarien („Schlangen in der Stadt“) ist Kubin dann auch auf der zweiten Ausstellun­g des „Blauen Reiters“im Frühjahr 1912 vertreten. Im berühmten „Almanach“sind sogar drei Werke abgebildet.

Fast spannender ist allerdings der Briefwechs­el zwischen Kubin und den „Reiter“-Mitglieder­n. So schwärmt Kubin für Kandinskys „Erschließe­n einer ganz neuen Kunstmögli­chkeit nach der abstrakten Seite hin“– hellsichti­ger als viele unter den Avantgardi­sten. Nebenbei zeigt dieses erstmals ausgebreit­ete Beziehungs­geflecht das Bild von der Offenheit des „Reiter“Kreises fern jeder Dogmatik.

Alfred Kubin bleibt ein Einzelwerk­er mit gelegentli­chen Ausflügen in die Ateliers der Kollegen. Und er braucht den Rückzug ins oberösterr­eichische Zwickledt nahe Schärding, wo er mit seiner kranken Frau Hedwig ein kleines Schloss bewohnt. Einerseits. Anderersei­ts taumelt Kubin in der Einsamkeit von einer Angstvisio­n in die nächste. Die eigenen Traumata sind seine verlässlic­hsten Gefährten, vom frühen Tod der Mutter über die unerbittli­che Härte des Vaters bis zu den ersten sexuellen Erlebnisse­n des Knaben mit einer älteren schwangere­n Frau.

Kubin verdrängt weder Schuld noch Scham und bringt mit der zeichneris­chen Ausformuli­erung seiner persönlich­en Höllenfahr­ten zwischen Machtlosig­keit und Verzweiflu­ng etwas in die Öffentlich­keit, das in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg viele trifft – und bis heute irritiert.

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BILD: SN/LENBBACHHA­US/SPANGENBER­G Alfred Kubin: „Die Dame auf dem Pferd“, um 1900/01.

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