Warum Captain Kirk „Stille Nacht!“singt
In etwa 300 Sprachen ist das Lied übersetzt. Jetzt dringt es in unendliche Weiten vor: Wie klingt „Stille Nacht!“mit Captain Kirk?
Sogar auf Klingonisch gibt es den Welthit aus Salzburg längst. Nun startet „Star Trek“-Held William Shatner seine eigene „Stille Nacht!“-Mission.
Das All, es schläft. Einsam wacht nur einer. Als Captain Kirk hat er jahrzehntelang das Raumschiff Enterprise durch unendliche Weiten gelenkt. Heute, mit 87 Jahren, wendet sich William Shatner lieber wieder seinen anderen Begabungen zu.
Schauspieler, Showman, Autor, Sänger: Das sind nur einige der Berufsbezeichnungen, die sich im Lexikon zu Shatners Person finden. Schon im Jahr 1968 begann er, Songs aus dem Popuniversum zu interpretieren. Als Raumschiffkapitän war er mit der „Star Trek“-Reihe damals auf dem Weg zur Kultfigur. Auch im Pop wollte er neue Galaxien erforschen: Shatner sang die Texte aktueller Hits nicht. Als gelernter Shakespeare-Darsteller deklamierte er sie mit schauspielerischer Geste. Songs von den Beatles und Bob Dylan paarte er auf seinem Album „The Transformed Man“mit Monologen aus „Hamlet“oder „Romeo und Julia“.
Fünfzig Jahre später rezitiert Shatner nun einen Hit, der aus Salzburg um die Welt gegangen ist: „Silent night, holy night, all is calm, all is bright“, spricht der Schauspieler mit salbungsvoll verdunkelter Stimme. Aber auch gesungen wird in seiner Version: Dafür hat er einen Mann engagiert, dem man stille Besinnlichkeit lange Zeit gar nicht zugetraut hätte. Punkveteran Iggy Pop besingt den Weihnachtsfrieden mit weit ausholendem Vibrato. Nachzuhören ist die vielleicht grenzüberschreitendste Version zum heurigen „Stille Nacht!“-Jahr auf Shatners Weihnachtsalbum „Shatner Claus“, das nächste Woche erscheint (Cleopatra/Membran). Im weiten Raum zwischen Pathos und Satire pendelt sich auch dieses Opus ein. Mit weiteren überraschenden Gästen holt Shatner Evergreens wie „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“oder „Jingle Bells“aus den unendlichen Weiten des Weihnachtsarchivs. Hardcore-Ikone Henry Rollins ließ sich zu „Jingle Bells“erweichen. Billy Gibbons, Gitarrist der Bluesrocker ZZ Top, nutzt „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“für ein Solo. Und Ian Anderson, Chef von Jethro Tull, flötet das Intro zu „Silver Bells“.
So unvermutet die Verbindung von Popurgesteinen wie Todd Rundgren zu manchem Weihnachtsklassiker klingen mag: Dass sich Shatner als ehemaliger „Star Trek“-Kommandant um „Stille Nacht!“kümmert, liegt ziemlich nahe: Immerhin ist der Klassiker aus Salzburg sogar ins Klingonische übersetzt worden.
Von allen 300 bekannten Übersetzungen ist es im Pop freilich die englische Version, die alle Jahre wieder aufgewärmt wird. Das Lied ist ein Hit. Wer bei Google unter „silent night song“sucht, bekommt 130 Millionen Einträge, wer seine Suche auf „Stille Nacht Lied“beschränkt, kann immer noch aus 14,3 Millionen Einträgen wählen. Nicht einmal im Hip-Hop-Land kommt man dem Lied aus. Der Ghetto-Hip-Hop-Remix von „Silent Night“ist schriller, als es jeder explodierende Stern sein könnte.
Die „Stille Nacht!“ist in den Hitparaden ein Verkaufsschlager. Aber Friede hin, Weihnachten her: Die Reise zum „Schlaf in himmlischer Ruh’“ist oft eine Irrfahrt ins Popgeschäft. Bing Crosby hatte einst den Prototyp geschaffen.
Er ist der wahre Held des Geschäfts mit klingender Weihnachtsware. Die Single von „Silent Night“– erstmals aufgenommen 1937 und später in immer wieder neuen Versionen eingespielt – verkaufte sich 30 Millionen Mal. Damit liegt Crosby auf Platz drei der ewigen Verkaufsbestenliste. Vor ihm rangiert nur Elton John mit „Candle in the Wind“, jener Version, die einst in der Kirche beim Begräbnis von Prinzessin Diana gespielt wurde, und vor Crosby liegt auch Crosby selbst – mit einem zweiten Weihnachtshit: „White Christmas“.
Der walisische Hymnenforscher Alan Luff erklärt den Einfluss und die vielen Versionen des Liedes ganz einfach. Das Phänomen liege darin, dass sich dieses Lied jeder zu eigen machen könne, weil es sich „von Kultur zu Kultur ausgebreitet hat“. Versüßlichung der Harmonien und auch die Sentimentalisierung beim Vortrag stünden dabei allerdings im Widerspruch zur grundsätzlichen Intention, zur Intention eines „unschuldigen Songs mit sparsamer Begleitung“. Tatsächlich basieren die größten kommerziellen Erfolge des Lieds auf der Auslöschung jeder Unschuld. Man nehme Frank Sinatra. Gnadenlos geschäftstüchtig legte er 1957 seine Version mit dem Chor der Ralph Brewster Singers und dem Orchester von Gordon Jenkins vor. Da trieft das Schmalz.
Die Melodie aber hat bis jetzt noch jeden Belastungstest ausgehalten. Während William Shatner sie zum galaktischen Drama erweitern will, verordnet ihr Eric Clapton Entspannung unter Palmen: Auf dem Weihnachtsalbum des britischen Gitarristen ist sie nicht im weihnachtlich wiegenden 6/8-Takt zu hören, sondern in einem schlurfenden Reggae-Offbeat, der jedem Gedanken an Schnee trotzen will: „Stille Nacht!“, karibisch.