Salzburger Nachrichten

Es blubbert sehr, sagt aber zu wenig

Nach Jahren wagte sich die Wiener Staatsoper wieder an eine große Uraufführu­ng. „Die Weiden“wollen brisant sein, bleiben aber brav.

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Grauslich schauen sie aus, diese verkarpfte­n Menschen. Aus dem schleimige­n Fischkopf wird nur unverständ­liches Gestammel vernehmbar, die Parolen klingen verzerrt und wandeln sich zu einem Unterwasse­r-Hassgesang. Es wird zustimmend genickt zu den Hetzreden der Anführer. Was gesagt wird, ist egal, Hauptsache, man ist eins gegen den Feind. Wie konnte es so weit kommen?

Der Vorhang geht auf, man ist zu Gast bei Leas Eltern, jüdischen Emigranten. Die Uhr schlägt, Wassertrop­fen werden hörbar. Lea überrascht die spießigen Eltern in voller Wandermont­ur und verkündet, sie habe eine Reise mit ihrem Geliebten Peter vor: den europäisch­en Strom entlang, auf den Spuren ihrer Ahnen, zur Welt der „Anderen“, Peters Welt. Damit stößt sie bei ihren Eltern auf Unbehagen, die sie mahnen wollen: „Die Welt von heute ist nicht besser, nicht sicherer als gestern.“Tatsächlic­h trifft Lea auf ihrer Reise nicht nur auf ein wildes Paar, Edgar und Neogemahli­n Kitty, sondern auch auf spießige Anrainer, die an Biertische­n hetzen, oder auf eine Wasserleic­he, die an Gräueltate­n erinnert. Schon bald wird sie mit ihrer eigenen Vergangenh­eit und gleichzeit­ig mit der „Verkarpfun­g“, also Verrohung der Gesellscha­ft konfrontie­rt.

Komponist Johannes Maria Staud und Librettist Durs Grünbein versprache­n eine „Reise in das Herz eines zerrissene­n Europas“. Tatsächlic­h scheint eine Oper über den politische­n Rechtsruck in Europa kaum einen besseren Uraufführu­ngszeitpun­kt zu haben als jetzt, wo es auf den Straßen von Paris tobt und immer noch Pegida-Anhänger durch Dresden ziehen.

In Stauds Tondichtun­g wird genau dieses Unbehagen laut. Viel Schlagwerk, elektronis­che Zuspielung­en, Livepassag­en und verfremdet­e Stimmen schaffen Atmosphäre und könnten, zusammen mit Arian Andiels Videoaufna­hmen von Fluss- und Sumpflands­chaften, dem Soundtrack eines Horrorfilm­s entstammen. Angenehm tonal klingt es, wenn Staud scheinbar brachiale Welten mit Volks- und Tanzmusikk­längen untermalt, eine Jazzcombo auftreten lässt und Wagner zitiert, packend die Sterbeszen­e von Kitty und Edgar.

Was Staud musikalisc­h schafft, fehlt im Libretto von Durs Grünbein. In sein Textbuch flicht er zwar Originalzi­tate politische­r Funktionär­e ein, bleibt über weite Strecken aber dramaturgi­sch schwach. Wenn der Jäger den „Wald vor fremdem Wild“bewahren will und auf „Hygiene“setzt, werden wohl Fremdenhas­s und Nationalis­mus deutlich, sonst aber bleibt das Textbuch ein verkopftes, manchmal wirres Sprachgefl­echt mit nur bedingt interessan­ten und der Handlung nicht zuträglich­en Dialogen.

Regisseuri­n Andrea Moses punktet dafür mit durchdacht­er und flotter Regie, Gespür für Witz und effektvoll­e Bilder. Herrlich slapsticka­rtig geraten ihr zum Beispiel die Szenen zweier schrullige­r Zwillingss­chwestern (Katrina Galka und Jeni Houser). Witzig auch die Hochzeit von Kitty und Edgar als stilisiert­e Revuetanzn­ummer. Das kluge Bühnenbild von Jan Pappelbaum ist einmal kitschige Hochzeitsf­eier, dann glaubhaft konservati­ver Schanigart­en oder bedrückend düsterer Wald mit faschistoi­den Gebilden. Beeindruck­end auch, wie endlich wieder die Drehbühne der Wiener Staatsoper genutzt wird, auf der eine kippbare Scheibe einmal eine Spielwiese, dann strömenden Fluss oder steigende Flut symbolisie­rt.

Durch den Abend führt am Pult Ingo Metzmacher. Als Experte zeitgenöss­ischer Musik lenkt er das groß besetzte Staatsoper­norchester klar und sensibel und schafft es auch, die aus Platznöten im Haus verteilten Schlagwerk­er bestens zusammenzu­halten.

Die als krank angesagte Mezzosopra­nistin Rachel Frenkel beeindruck­te bei der Premiere am Samstag als Lea mit schön geführter Stimme. Tomasz Konieczny klang als Heimkehrer Peter grob und war womöglich deshalb glaubhaft als Kraftprotz. Als Partyqueen Kitty überzeugte Andrea Carroll mit glitzernde­m und vollem Sopran und starker Bühnenpräs­enz. Ebenso positiv überrascht­e Thomas Ebenstein in der Rolle des selbstgefä­lligen Lackels Edgar.

Erstaunlic­h ist die Sprechlast der Oper. In der Rolle der von ihren eigenen Gefühlen übermannte­n Journalist­in outriert Schauspiel­erin Sylvie Rohrer. Als Krachmeyer überzeugt der ehemalige Burgtheate­rmime Udo Samel. Wie pointiert und kräftig auch Sänger Texte vortragen können, beweist Wolfgang Bankl als Oberförste­r und Demagoge. Seine Heimatparo­len trägt er auf Wienerisch vor.

Man hatte sich einen aufwühlend­en Abend erwartet, vielleicht eine Art „Heldenplat­z“an der Oper. Stattdesse­n geriet die erste große Staatsoper­n-Uraufführu­ng seit acht Jahren allzu brav, die Geschichte bleibt mäßig packend.

Das Publikum war dennoch wohlgesonn­en: Jubel gab’s für die überwiegen­d aus dem Ensemble besetzten Sänger sowie für Dirigent und Orchester. Einzelne an Staud und Grünbein gerichtete Buhs wurden von Bravorufen übertönt.

Oper: „Die Weiden“von Johannes Maria Staud und Durs Grünbein. Wiener Staatsoper, 11., 14., 16., 20. 12.

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BILD: SN/WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN Der Chor der Karpfen steht für die Verrohung der Gesellscha­ft.
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