Warum der Hunnenkönig Attila nicht bis nach Rom kam
Verdis Jugendoper zur Saisoneröffnung an der Mailänder Scala ist auch ein Pluspunkt für Intendant Alexander Pereira.
MAILAND. Italien war schon immer ein unruhiges Pflaster, bereits in grauer Vorzeit, als sogar die Hunnen das Land heimsuchten. Aber anstelle großer Demonstrationen blieb diesmal der Platz vor dem Teatro alla Scala am Abend der traditionellen Saisoneröffnung am 7. Dezember leer. Das lag natürlich vor allem an den weiträumigen Polizeiabsperrungen, nur ein paar Feuerwerkskörper wurden von den üblichen Verdächtigen trotzig in die Luft geballert.
Aber diese Ruhe kann täuschen: Im Inneren des Theaters gab es vor der Vorstellung einen bemerkenswert langen demonstrativen, herzlichen Applaus für Italiens Staatspräsidenten Sergio Mattarella. Das darf man wohl vorsichtig als ein Zeichen des Nicht-Einverständnisses der zahlungskräftigen oberen Zehntausend gegen die neuesten Entwicklungen in der italienischen Politik werten.
Auch sonst sind Rauchzeichen auszumachen. Nichts Gutes könnten sie für den Intendanten des Theaters, Alexander Pereira, bedeuten, gegen den sich Kritik in den obersten Verwaltungsgremien des Hauses regt. Manche finden, dass sich sein expansiver künstlerischer Kurs mit den vielen Premieren finanziell nicht rechnet.
Fürs Erste freilich darf Pereira einen Pluspunkt für sich verzeichnen: Die Premiere von Giuseppe Verdis Jugendoper „Attila“mit ihrer feurigen Musik kam beim Publikum gut an. Die vereinzelten Buhs richteten sich vor allem gegen den Regisseur Davide Livermore und seinen Versuch, die Handlung mit Anspielungen auf schwarz uniformierte (gar faschistische?) fremde Usurpatoren aus den 1930er- und 1940er-Jahren aufzupeppen. Zumindest war das dienlich, die Trennschärfe zwischen den bösen Hunnen und den guten, unterdrückten Italienern in ein klares Licht zu rücken.
Die Bühnen-Hunnen benehmen sich wirklich so, wie man sich Hunnen vorstellt: Wild und unzivilisiert schießen sie die Bevölkerung des Landes über den Haufen, morden, brandschatzen, was das Zeug hält, und hinterlassen nichts als Ruinen.
Das ist wahrscheinlich eine der Stärken dieser Inszenierung: dass sie ein von Kämpfen zerstörtes Land zeigt (Bühnenbild: Giò Forma, Video: D-Wok). Mächtig viel los ist da auf den Bildschirmen, vor denen sich die Handlung abspielt. Ein bisschen weniger wäre durchaus ausreichend gewesen.
Attila, der König der Hunnen, ist dabei, Italien zu erobern. Dieser Zug der Handlung ist hier ausgedeutet als Kampf von Kulturen. Nur einer ist bereit, sich den Barbaren entgegenzustellen: der römische Feldherr Ezio. Zu Beginn kommt es zu einer historischen und musikalisch schön ausgemalten Begegnung zwischen Attila und Ezio, bei welcher der Römer klarstellt, dass Attila sich gern das ganze Universum unterwerfen könne, Italien aber ihm, Ezio, verbleiben müsse.
Der Chor, also das „Volk“, spielt die wichtigste Rolle, dazu gibt es noch eine Verschwörung, an der Ezio, Odabella (deren Vater von Attila ermordet wurde) und der mit ihr verbündete (und in sie verliebte) Foresto teilhaben. Sie versetzen dem Barbarenkönig den Todesstoß.
Für die Titelpartie stand mit Ildar Abdrazakov ein farbenreicher und beweglicher Bassist zur Verfügung. Saioa Hernández meisterte als Odabella den Spagat zwischen lyrischer Innerlichkeit und fast schon LadyMacbeth-haftem Realismus mit bewundernswerter Leichtigkeit. Und mit Fabio Sartori stand ein kraftvoller Foresto-Tenor auf der Bühne. George Petean sang den Ezio zufriedenstellend, aber ohne jenes innere Feuer, das dereinst einen Ausnahmesänger wie Piero Cappuccilli auszeichnete.
Für den sicheren musikalischen Kurs der Oper, die Verdi auf dem Weg zu sich selbst zeigt, sorgte Riccardo Chailly, der neuerlich bewies, dass man Verdi auch ohne falsch verstandene Ruckizucki-Italianità geradlinig und akkurat umsetzen kann. „Attila“ist bis 20. 3. 2019 kostenlos abrufbar auf WWW.ARTE.TV/DE/VIDEOS